Angebliche Beweise
für staatliche Folter in Syrien
Washington (LiZ). Der US-amerikanische TV-Sender CNN und die britische Tageszeitung 'Guardian' verbreiten die Nachricht, es lägen Beweise vor, daß in syrischen Gefängnissen 11.000 Gefangene zu Tode gefoltert worden seien. Der Meldung liegen jedoch lediglich die Aussagen von drei Ex-Anklägern bei Kriegsverbrecher-Tribunalen zugrunde. Angeblich stützen sich diese Aussagen auf einen anonymen Überläufer, der 55.000 Fotos vorgelegt haben soll. Neutrale ExpertInnen werten diese Nachricht als wenig glaubwürdig, solange die Fotos nicht vorgelegt werden und der Informant anonym bleibt.
Merkwürdig erscheint zudem, daß die Nachricht über angebliche Beweise wieder einmal kurz vor einem kritischen Termin - zwei Tage vor dem Beginn der Friedenskonferenz in Montreux in der Schweiz - in den Mainstream-Medien lanciert wird. Auch die angeblichen Beweise, von denen US-Präsident Barack Obama kurz nach dem Giftgas-Einsatz vom 21. August sprach und die er nach den Enthüllungen von Seymour Hersh nie besaß, paßten zu dem Zeitpunkt, als ein militärisches Eingreifen der USA in Syrien geplant war (Siehe unseren Artikel v. 9.12.13).
Unvergeßlich ist auch der Auftritt des damaligen US-amerikanischen Außenministers Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat, bei dem er angebliche Beweise dafür präsentiert, daß der irakische Diktator Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge. Im September 2005 bezeichnete Powell seine kriegsvorbereitenden Auftritt als "Schandfleck" seiner Karriere (Siehe unseren Artikel v. 9.09.05).
Die angeblichen Beweise, von denen nun heute die Rede ist, sollen sich auf Aussagen und vorgelegte Fotos eines übergelaufenen syrischen Militärpolizisten stützen. Dieser habe rund 27.000 Bilder von 11.000 toten Häftlingen präsentiert, die er selbst fotografiert haben will. Insgesamt habe es sich um rund 55.000 Fotos gehandelt. Die drei Gewährsleute, die den "Bericht" zur Veröffentlichung an CNN und 'Guardian' gaben, können keineswegs mehr Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen als im Jahr 2003 der US-amerikanische Außenminister. Es handelt sich um den früheren Chefankläger des Kriegsverbrecher-Tribunals für Sierra Leone, Desmond de Silva, den Ankläger im Prozeß gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, Geoffrey Nice, sowie David Crane, der den liberianischen Präsidenten Charles Taylor angeklagt hatte. Alle drei verfügen sicherlich über weniger Möglichkeiten als ein US-Außenminister, um zu beurteilen, ob ihnen das Foto-Material etwa vom US-Geheimdienst untergeschoben wurde.
Als Möglichkeiten muß in Betracht gezogen werden, daß es sich bei den Fotos - so diese denn überhaupt existieren - um Fälschungen handelt oder auch um Fotos von etwa am Straßenrand (in Syrien, in Afghanistan, im Irak...) aufgefundenen Leichen, die vor der Bestattung zwecks späterer möglicher Identifizierung fotografiert wurden. Für letztere These spricht, daß es zum einen recht ungewöhnlich für ein verbrecherisches Regime wäre, eigene Taten fotografisch zu dokumentieren, zum anderen, daß es - diese ungewöhnliche Vorgehensweise einmal unterstellt - eher wahrscheinlich wäre, daß die Toten mit Namensschildern statt mit Identifikationsnummern (wie von CNN dargestellt) fotografiert würden.
Die schiere Zahl der angeblichen Beweisfotos erinnert an die Masse der Informationen, die der Whistleblower Edward Snowden der Weltöffentlichkeit präsentierte. Die beiden Fälle unterscheiden sich jedoch in drei wesentlichen Punkten: Erstens ist belegt, daß Edward Snowden tatsächlich für den NSA arbeitete und daher in der Lage war, das Material an sich zu bringen, während entsprechendes von einem anonymen Informanten lediglich behauptet wird. Zweitens können die von Snowden vorgelegten Materialien in Hinblick auf technische Details und die Tatsache, daß Vieles bereits zuvor in Umrissen bekannt war (beispielsweise Echelon) weitaus mehr Glaubwürdigkeit beanspruchen als die "Evidenz" (CNN: clear evidence) von angeblichen Fotos, die mit heutiger Technik massenhaft gefälscht werden können. Und Drittens ist der Weg, den das von CNN und 'Guardian' behauptete Material angeblich von Syrien in die Hand der drei Überbringer nahm, nicht nachvollziehbar.
Die Redaktion der Linkszeitung legt Wert auf die Feststellung, daß sie keineswegs von vorne herein irgendwelche Verbrechen der syrischen Regierung ausschließt - allerdings eben sowenig solche von Seiten der "Aufständischen". Bevor jedoch solch schwerwiegende Anschuldigungen - wie vieltausendfache Folter und Mord durch die syrische Regierung - erhoben werden können, bedarf es eines Beweises. Vergessen werden darf über all dem nicht, daß die weit überwiegende Mehrheit der Menschen in Syrien unter den von außen provozierten Gräueln und den kriegerischen Auseinandersetzungen leidet. Offensichtlich ist jedoch auch, daß die Interessen des syrischen Regimes unter Baschar al-Assad ebenso wie die der US-amerikanischen Regierung ausschließlich am Öl des Landes ausgerichtet sind und jede Anteilnahme am Leiden der Bevölkerung geheuchelt ist.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Seymour Hersh deckt Giftgas-Lüge
von US-Präsident Barack Obama auf (9.12.13)
OPCW meldet: Alle C-Waffen-Anlagen
in Syrien zerstört (31.10.13)
Mord in Pakistan mit Drohnen
Amnesty-Bericht prangert Obama an (22.10.13)
Durchbruch in Genf
Einigung über C-Waffen-Abrüstung in Syrien (14.09.13)
Syrien: Putin weist Ausweg
Vernichtung der C-Waffen (10.09.13)
Syrien und G20
Obama als Bluffer bloßgestellt (7.09.13)
Obama kündigt militärische "Mission"
gegen Syrien an (31.08.13)
Syrien-Krieg rückt näher
Giftgas-Einsatz von Rebellen?
Kriegshetze aus Frankreich und 'taz' (23.08.13)
Rüstungs-Export gesteigert
Deutschland rüstet Golfregion auf (8.08.13)
Inszeniert Angriff vor
Stationierung von 'Patriots' in der Türkei? (17.03.13)
Krieg in Syrien
Demo gegen Einsatz deutscher 'Patriot'-Raketen (5.01.13)
Warlord Obama zündelt in Syrien
Vermittler Annan gibt auf (2.08.12)
Über 1000 Foltergefängnisse in Syrien?
Human Rights Watch liefert Kriegspropaganda (6.07.12)
Syrien...in 6 Monaten am Boden
Karikatur von Harm Bengen (1.07.12)
Syrien - Die nächste Runde der Eskalation?
Gastbeitrag von Rüdiger Rauls (31.05.12)
Wir lieben Syrien, aber nicht sein Regime
Gastbeitrag von Hakam Abdel-Hadi (2.04.12)
UN-Sicherheitsrat:
Friedensplan für Syrien (21.03.12)
Arabische Liga suspendiert Syrien
Mehr als ein symbolischer Akt? (12.11.11)
Libyen-Krieg beendet + Demokratisierung
gescheitert + Gaddafi tot + Erdöl okkupiert (20.10.11)