Berlin (LiZ). "Wir haben es satt" erklärten heute 23.000 Menschen angesichts der auf der "Grünen Woche" auf dem Messegelände Berlin versammelten internatio- nalen Agro-Konzerne von Monsanto über Müller Milch bis BASF. In der Kritik standen Gentechnik, Massentierhaltung und Agrar-Exporte zu Dumping- preisen. Einer der Demo-Veranstalter, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erklärte Agrar-Ministerin Ilse Aigner zur "Dioxin-Heldin".
Im Zentrum der Redebeiträge auf der von BUND, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und einer Vielzahl von Umweltschutz-, VerbraucherInnenschutz- und entwicklungspolirtischen Organisationen initiierten Demonstration stand die Kritik an der Agro-Industrie und die Forderung nach einer Agrar-Wende hin zu einer ökologischen und nachhaltigen Landwirtschaft. Bei der bislang größten Demonstration dieser Art zogen BäuerInnen, UmweltschützerInnen, ImkerInnen und VerbraucherInnen gemeinsam vom Berliner Hauptbahnhof zur Abschluß-Kundgebung am Brandenburger Tor. Mit 60 Bussen, Zügen und über 70 Traktoren waren Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet zu der Demonstration angereist.
Als Konsequenz aus dem Dioxin-Skandal und anderen Lebensmittel-Sandalen der vergangenen Jahre forderten zahlreiche RednerInnen von der Parteien-Politik eine Umkehr und die verstärkte Förderung der "bäuerlichen Landwirtschaft". Bekannt ist, daß - gleich ob unter "Rot-Grün" oder "Schwarz-Gelb" - die industrielle Landwirtshaft ein Vielfaches der Subventionen gegenüber der Bio-Landwirtschaft erhält und erhielt. Deutschland muß Bio-Lebensmittel weit überwiegend und zu einem immer größeren Prozentsatz importieren, weil der Zuwachs an Bio-Höfen hinter der Nachfrage der VerbraucherInnen seit über 15 Jahren hinterherhinkt. Eine der Forderungen war daher, die Agrar-Subventionen müßten zukünftig an ökologische, soziale und Tierschutzkriterien gekoppelt und für Großbetriebe gedeckelt werden.
"Diese Berliner Kundgebung ist nur der Auftakt zahlreicher weiterer Aktionen," sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. "Die Bundesregierung muß endlich begreifen, daß sie bei Fortsetzung ihrer Blockadepolitik gegen eine nachhaltige und gerechte Agrar-Reform in Europa schon beim nächsten Lebensmittelskandal wieder ins Schlingern gerät. Die Gesellschaft fordert die Durchsetzung einer artgerechten Tierhaltung, die Abkehr vom Irrweg der Gentechnik und die Umlenkung der Subventionen weg von der Agro-Industrie hin zur bäuerlichen und ökologischen Landwirtschaft."
"Massentierhaltung und Gentechnik sind eine gefährliche Sackgasse für die Bauern und ein erhöhtes Risiko für die Verbraucher. Agrarfabriken gehören verboten und nicht weiter mit Steuergeldern subventioniert. Tiergerechte Haltung, heimisches Futter und besonders Eiweißfutter ohne Gentechnik - das ist unsere Zukunft," erklärte Maria Heubuch, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).
Als Musterbeispiel für die Vorstellungswelt der VertreterInnen der industriellen Landwirtschaft kann dieser Screenshot von der Internet-Seite der "Grünen Woche"
dienen:
Besonderen Beifall erhielt die Nigerianerin Mariann Bassey, Sprecherin von Friends of the Earth, dem internationalen Dachverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). "Die Auswirkungen der europäischen Agrarpolitik sind für die Entwicklungsländer verheerend," sagte sie. "Ein weltweite Protest gegen Gentechnik, Agrarfabriken und Dumping-Exporte ist für die Ernährungssicherheit der Welt dringend notwendig. Die Politik hat die schrankenlosen Spekulationen auf Lebensmittel erst ermöglicht und ist gleichzeitig für den Landraub für Futtermittel und Agro-Sprit in den Ländern des Südens verantwortlich. Beides treibt die Lebensmittelpreise hoch und schließt Hungernde vom Zugang zu fruchtbarem Land und zu Lebensmitteln aus. Für das Menschenrecht auf Nahrung müssen Spekulation und der Agro-Sprit-Boom gestoppt werden. Die europäische Agrarpolitik braucht eine Kehrtwende weg von der Überproduktion und von Fleischexporten." Mit Gentechnik, mit Fleisch- und Milchpulver-Ausfuhren zu Dumpingpreisen und mit der Abhängigkeit vom Erdöl zerstöre die europäische Politik das Menschheitswissen über lokale, nachhaltige Ernährungssicherung. Nur wenn Menschen aus Nord und Süd gemeinsam für den Wandel des Systems die Stimme erheben würden, hätten Gerechtigkeit, Klimaschutz und Hungerbekämpfung eine Chance.
Die Köchin, Gastronomin und Buchautorin Sarah Wiener sagte: "Jüngst wurden antibiotikaresistente Keime in Hühnerfleisch gefunden - dies ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben diese ständigen Lebensmittelskandale satt. Es ist höchste Zeit, dass endlich grundlegende Konsequenzen daraus gezogen werden. Wir müssen weg von der Agrarindustrie, hin zu einer bäuerlichen und nachhaltigen Landwirtschaft."
Der Bauer Moritz Schäfer betonte: "Unser breiter Protest gegen die Agro-Gentechnik wirkt. Die BASF mußte ihre Gentech-Kartoffel in Europa aufgeben, da die gesellschaftliche und bäuerliche Akzeptanz fehlt. Das ist auch eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung, denn die Amflora von der BASF war die erste Kartoffel, die es in einen Koalitionsvertrag geschafft hatte. Auch in der EU-Agrarpolitik forciert Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner bislang die Agro-Industrie. Und das, obwohl die agro-industriellen Strukturen Klimawandel, Hungerkrisen und das Höfesterben verschärfen. Die EU-Direktzahlungen müssen an Arbeitskräfte und Umweltleistungen gebunden und nach oben gekappt werden und dürfen nicht die Agro-Industrie mästen. Dann finden sie auch gesellschaftliche Akzeptanz."
Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, stellte fest: "Es geht um die Systemfrage: Lassen wir es weiter zu, Tiere in Haltungssysteme zu zwingen, die ihnen Schmerzen und Leid zufügen? Denn das ist heute Alltag für Millionen von Tieren. In den Intensiv-Haltungen leiden sie direkt. Unter den Folgen leiden aber auch Umwelt, Bäuerinnen und Bauern sowie Verbraucherinnen und Verbraucher. Daher braucht es den Schulterschluß der gesellschaftlichen Gruppen. Wir kämpfen für mehr Tierwohl im Stall, gegen Gentechnik-Futtermittelimporte aus Übersee und für mehr Unterstützung der bäuerlichen artgerechten Landwirtschaft."
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Gen-Technik
Teilrückzug von BASF / Aus für Amflora (16.01.12)
Jedes zweite Hähnchen im Supermarkt
mit Antibiotika-resistenten Keimen belastet (9.01.12)
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83 Prozent betroffen (29.10.11)
Natamycin in Käserinde von Saint Albray
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(20.09.11)
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