Berlin (LiZ). Wie kaum anders zu erwarten, garantiert die "schwarz-gelbe" Bundesregierung den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke bis 2013. Sie setzt damit die von "Rot-Grün" unter dem Deckmantel eines Atom-Ausstiegs abgegebene Bestandsgarantie des Jahres 2000 trotz eklatanter Sicherheitsmängel fort. Der inszenierte Streit um verschiedene "Laufzeitverlängerungen" zwischen 8 und 30 Jahren sollte dabei davon ablenken, daß die Geschäftsgrundlage von "Schwarz-Gelb" lediglich bis zur nächsten Bundestagswahl reicht.
Mit dem im Jahr 2000 vereinbarten "Atom-Ausstieg" hatte die damalige "rot-grüne" Bundesregierung mit Kanzler Gerhard Schröder, Außenminister Joseph Fischer und Bundes-"Umwelt"-Minister Jürgen Trittin eine Bestandsgarantie für die deutschen Atomkraftwerke gegeben, die ursprünglich von den Ingenieuren lediglich für eine Betriebsdauer von 25 Jahren ausgelegt wurden. Die in den Jahren zwischen 1968 und 1989 in Betrieb genommenen deutschen Atomkraftwerke hätten demnach in den Jahren zwischen 1993 und 2014 nach und nach stillgelegt werden müssen.
Vor der Wahl versprach Gerhard Schröder am 3. August 1998, in der Legislaturperiode bis 2002 würden sechs Atomkraftwerke abgeschaltet. Nach der Wahl wurde dann zunächst ein regierungsinterner Streit um die zulässige Betriebsdauer von Atomkraftwerken veranstaltet, der jenem der vergangenen Monaten verblüffend ähnelt. So wurde damals von einem Ende der Atomenergie in Deutschland bis 2009 (Betriebsdauer von 20 Jahren), bis 2014 (Betriebsdauer von 25 Jahren), bis 2017 (Betriebsdauer von 28 Jahren), und schließlich bis 2021 (Betriebsdauer von 32 Jahren) gesprochen.
Doch statt tatsächlich eine zeitliche Beschränkung der Betriebsdauer der einzelnen Atomkraftwerke festzulegen, wurde im Jahr 2001 per "Konsens-Vertrag" mit den Strom-Konzernen vereinbart, daß die deutschen Atomkraftwerke noch einmal nahezu dieselbe Menge Strom produzieren dürfen, die sie bis zum Stichtag 31. Dezember 1999 bereits produzierten. Die Bilanz bis zu diesem Stichtag: insgesamt 2670,3 TWh Strom. Zugesprochen wurde den Strom-Konzernen eine weitere Produktion von Strom in den Atomreaktoren von insgesamt 2623,3 TWh. Dies bedeutet konkret, daß sie die Erlaubnis erhielten, den Berg an radioaktivem Müll, der bis zum Jahr 2000 angefallen war, zu verdoppeln.
In der Folge wurde immer wieder in den Mainstream-Medien verbreitet, diese Reststrommenge entspreche einer durchschnittlichen Betriebsdauer von 32 Jahren pro Atomkraftwerk. Tatsache ist, daß das AKW Stade (Inbetriebnahme: Januar 1972) im November 2003 stillgelegt wurde. Es war jedoch zwischenzeitlich bekannt geworden, daß die Betreiber-Firma HEW - danach im Energie-Konzern Vattenfall aufgegangen - bereits vor der Regierungsübernahme von "Rot-Grün" das AKW Stade in internen Beurteilungen als unwirtschaftlich bezeichnet hatte. Eine Stilllegung und der Ersatz durch ein modernes Gaskraftwerk hätte HEW einen Kostenvorteil eingebracht. Daß diese Stilllegung dennoch nicht vor 1998 erfolgte, hatte allein den Grund, daß die Energie-Konzerne damit eine defensive Position vermeiden konnten.
Bis heute wurde seit 1998 lediglich ein weiteres AKW stillgelegt. Von damals 19 Atom-Reaktoren sind nach wie vor 17 in Betrieb. Das AKW Obrigheim (Inbetriebnahme: Oktober 1968), das entsprechend der verkündeten Gesamtlaufzeit von 32 Jahren im Oktober 2000 stillgelegt hätte werden sollen, erhielt unter "Rot-Grün" unter Berufung auf angebliche Geheimabsprachen im Konsens-Vertrag und im Widerspruch zu dessen veröffentlichtem Text eine Laufzeitverlängerung bis 2005. Es wurde am 11. Mai 2005 nach knapp 37 Jahren Betriebszeit stillgelegt.
Daß auch die Versprechen in Hinblick auf andere Atomkraftwerke nichts Wert waren, zeigt das Beispiel des AKW Biblis A (Inbetriebnahme: August 1974). Im Jahr 2003 hieß es noch von offizieller Seite unter Berufung auf die im "Konsens-Vertrag" für diesen Meiler vereinbarte Reststrommenge von 62,0 TWh (gerechnet ab 1.01.2000), daß die "Restlaufzeit" im Jahr 2006 ablaufen werde. Berechnungsgrundlagen wurden nie veröffentlicht. Noch im gleichen Jahr wurde dann verlautbart, die "Restlaufzeit" werde erst 2007 ablaufen. Es wurde dann auf der Internet-Seite des Bundes-"Umwelt"-Ministeriums - damals noch unter Jürgen Trittin - in einer Tabelle mit exakten Datumsangaben veröffentlicht, daß das AKW Biblis A am 26. Februar 2007 abgeschaltet werde. Später wurde dies dann klammheimlich gelöscht. Die früheren "Umwelt"-Minister Trittin und Gabriel verlassen sich offenbar darauf, daß die Mehrzahl der Deutschen dies inzwischen vergessen hat.
Weiter läßt sich in einer Vielzahl deutscher Medien verfolgen, daß das Ende der "Restlaufzeit" des AKW Biblis A - je nach aktuellem Datum - ganz selbständig auf 2008, auf 2009 und dann auf 2010 verschoben wurde - ohne je eine Berechnungsgrundlage dafür zu veröffentlichten.
Die heutige "schwarz-gelbe" Bundesregieung versuchte nun in den vergangenen Monaten mit demselben Trick die öffentliche Diskussion dahin zu lenken, daß nur noch von einem Atom-Ausstieg irgendwann zwischen 2029 (angebliche Position von "Umwelt"-Minister Norbert Röttgen) und 2041 (angebliche Position von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle) die Rede ist. Die Forderung der Anti-Atom-Bewegung nach einem sofortigen Atomausstieg soll so als unrealistisch aus dem Blickfeld verbannt werden. Dabei ist eines klar: Atomkraftwerke werden in Europa im Jahr 2020 mit Sicherheit stillgelegt sein - entweder, weil sich bis dahin die Vernunft durchgesetzt hat oder weil bis dahin eine Reaktor-Katastrophe stattfand, die jene von Tschernobyl in den Schatten stellt und weite Teile Europas radioaktiv verseucht.
Am gestrigen Sonntag nun inszenierte die "schwarz-gelbe" Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel einen "Atom-Gipfel", der die Linie in der Frage der "Restlaufzeiten" festklopfte. Ähnlich wie unter "Rot-Grün" wird ein undurchsichtiger "Kompromiss" präsentiert, der je nach Alter der Atomkraftwerke deren Weiterbetrieb mit einem Ende zwischen 2014 (AKW Biblis A) und 2035 (AKW Neckarwestheim II) erlauben soll. Selbstverständlich jedoch ist auch dieser "Atom-Ausstieg" keineswegs"unumkehrbar", wie es noch vor wenigen Jahren "Rot-Grün" für den ihren beteuert hat. Die Geschäftsgrundlage jeder Bundesregierung ist lediglich die Legislaturperiode, für die sie gewählt wurde. Und die gegenwärtige endet im Jahr 2013.
Bezeichnend ist auch, daß von der vor der Landtagswahl in Nordrheim-Westfalen von "Rot-Grün" lauthals beschworenen Möglichkeit zur Blockade der "schwarz-gelben" Atompolitik im Bundesrat kaum mehr die Rede ist. Damals hieß es, mit der Wahl Hannelore Krafts zur NRW-Ministerpräsidentin verliere "Schwarz-Gelb" im Bundesrat die Mehrheit und der "Ausstieg aus dem Ausstieg" könne gestoppt werden. "Schwarz-Gelb" hat die Mehrheit verloren - aber es ist sehr fraglich, ob das nun von "Schwarz-Gelb" auf den Weg gebrachte Gesetz überhaupt im Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Auf das Bundesverfassungsgericht ist in Fragen Atomenergie nach allen Erfahrungen wenig Verlaß.
"Ohne Not bricht die Bundesregierung einen der größten gesellschaftlichen Konflikte der Bundesrepublik wieder auf", lamentiert nun der frühere "rote" Bundes-"Umwelt"-Minister Sigmar Gabriel. Er verrät damit ungewollt, daß das vornehmste Ziel des im Jahr 2000 verkündeten Atom-Ausstiegs darin bestanden hatte, die Anti-Atom-Bewegung zu schwächen und die Mehrheit der Bevölkerung in der Illusion zu wiegen, ein realer Atom-Ausstieg käme ohne eigenes Zutun.
Auch wenn sich der von den Mainstream-Medien verbreitete Schrecken für die mehr als 70 Prozent der Bevölkerung, die einen Atom-Ausstieg wollen, relativiert, wenn klar wird, daß sich die Politik von "Schwarz-Gelb" zunächst nur auf die Jahre bis 2013 auswirkt: Die große Gefahr dieser Politik liegt darin, daß mit dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke der Ausbau der Erneuerbaren Energie gebremst wird. So ist es auch nicht verwunderlich, daß jener Teil der deutschen Wirtschaft, der mittlerweile Arbeitsplätze für mehr als 340.000 Menschen geschaffen hat, bei "Schwarz-Gelb" kein Gehör findet. Statt dessen macht auch die gegenwärtige Regierung eine Politik für die Atom-Branche, die insgesamt nur rund 35.000 Arbeitsplätze zu bieten hat. Der Vorsitzende des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, kommentiert: "Nicht das für Ende September angekündigte Energiekonzept, sondern die Gier der Atomstromkonzerne nach Extra-Profiten bestimmt die Energiepolitik der Bundesregierung."
Der BUND erinnert zudem daran, daß alternde Reaktoren ein immer höheres Sicherheitsrisiko darstellen. Vor wenigen Wochen berichtete das TV-Magazin 'Kontraste' darüber, daß die Versprödung der Reaktor-Druckbehälter nicht ausreichend überprüft wird. Durch den Dauerbeschuß mit Neutronen im Reaktor-Druckbehälter, extrem hohe Temperatur und Druckunterschiede, mechanische Belastung und Korrosion ist eine extrem hohe Materialbelastung gegeben. Das Risiko eines Unfalls durch Materialermüdung steigt von Jahr zu Jahr.
Zwar werden immer wieder alte Atomkraftwerke mit neuer Technologie nachgerüstet, doch die Kombination aus alter Technik des letzten Jahrhunderts und neuer Technik birgt bisher unbekannte Probleme und Risiken. Während Wärmetauscher, Reaktordeckel, Rohrstücke und andere Teile unter teilweise immensen Kosten und Risiken für die AKW-ArbeitnehmerInnen (und insbesondere für die LeiharbeiterInnen) ausgetauscht werden können, kann der - am stärksten von der Neutronenstrahlung belastete - Reaktor-Druckbehälter nicht ausgetauscht werden.
Auch die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg kritisiert in einer aktuellen Stellungnahme, daß "Schwarz-Gelb" die "Profitinteressen der Konzerne bedient". Eine zukunftsorientierte Energie- und Klimapolitik werde so behindert. Das "Desaster" des anwachsenden Atommülls werde nicht bedacht. Bis zum Jahr 2000 wurde in deutschen Atomkraftwerken 12.000 Tonnen radioaktiver Müll produziert. Der "rot-grüne" "Atom-Ausstieg" eröffnete die Perspektive auf einen Berg von am Ende 24.000 Tonnen. Mit jedem Jahr, in dem Atomstrom produziert wird, kommen weitere 370 Tonnen radioaktiver Müll hinzu. Die Menschen im Wendland erinnern daran, daß es weltweit keine Lösung für die Lagerung dieses Mülls gibt. "Letztlich wird seitens der Bundesregierung Druck gemacht, den Salzstock Gorleben trotz aller Bedenken als Endlager weiter auszubauen," erklärt der BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.
Die Anti-Atom-Bewegung ruft zur Demonstration am 18. September in Berlin auf. Ursprünglich hatte die BI Lüchow Dannenberg davor gewarnt, daß zu viele Aktionen den Widerstand auch schwächen könnten und hatte ihren Fokus auf die CASTOR-Proteste im November im Wendland gerichtet. Nun erklärt sie ihre Unterstützung für die Berlin-Demo, die mit der Hoffnung verbunden ist: "Wenn im Herbst der nächste CASTOR-Transport nach Gorleben auf die Reise geht, gehen wir - hoffentlich mit all den Berliner DemonstrantInnen - erneut im Wendland auf die Straße."
Samstag 18.9. 13 Uhr Anti-Atom-Großdemonstration in Berlin
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Anmerkungen
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