15.02.2013

Französischer Physik-Professor fordert
Stilllegung des AKW Fessenheim

AKW Fessenheim
Paris (LiZ). Jean-Louis Basdevant, hochrangiger Kernphysiker und Professor an der polytechnischen Hochschule, fordert die Stilllegung des ältesten französischen Atomkraft­werks Fessenheim. Er bezeichnet dies in einem Interview als "moralische Pflicht."

Es ist höchst ungewöhnlich, daß ein Mitglied der französischen "Nuklear-Gemeinde", das zudem über 35 Jahre lang Generationen von Atom-In­genieuren ausbildete, aus der nicht selten als "verschworene Gemeinschaft" bezeichneten Front der Atomenergie-BefürworterInnen ausbricht. Als Argument für die Stilllegung des AKW Fessenheim nennt Basdevant an erster Stelle die im Vergleich zu anderen Atomkraftwerken relativ dünne Bodenplatte. Zudem wachse mit dem Alter des AKW Fessenheim die Wahrscheinlichkeit von Materialermüdung, wodurch das Risiko einer Kernschmelze als erhöht einzuschätzen sei.

Nach Abschluß der dritten Zehnjahres-Inspektion habe die französische Nuklearaufsicht ASN technische Auflagen erteilt, die vor der Verlängerung der Betriebsgenehmigung um weitere zehn Jahre erfüllt werden müssen. Hierzu gehöre erstens eine Verstärkung der Bodenplatte des Reaktor I bis spätestens 30. Juni 2013, um deren Widerstand gegen den geschmolzenen Kern im Falle eines schweren Unfalls mit Bruch des Reaktordruckbehälters zu verbessern. Zweitens sollten vor dem 31. Dezember 2012 sicherheitstechnische Vorkehrungen getroffen werden, um die Nachwärme im Falle eines Versagens der Reaktorkühlung abführen zu können. Bis heute habe der Betreiber, der französischen Energie-Konzern EdF, keine akzeptablen Pläne hierfür vorgelegt.

Weiter führt Basdevant an, daß das AKW Fessenheim auf einer seismischen Bruchzone gebaut wurde, deren Erdbebenrisiko in Frankreich am höchsten sei. Das AKW Fessenheim wird mit Kühlwasser aus dem Rheinseiten-Kanal versorgt, dessen Wasserspiegel über dem Niveau des AKW-Geländes liegt. Bei einem Dammbruch etwa in Folge eines Flugzeugabsturzes kann das AKW überflutet werden (siehe auch unseren Artikel vom 14.06.11).

Wie alle übrigen Atomkraftwerke auch ist das AKW Fessenheim dem Risiko eines "normalen Unfalls komplexer Systeme" ausgesetzt. Dabei handelt es sich um einem Fachterminus, der in einer Studie des US-Amerikaners Charles Parrow über den Unfall im AKW Harrisburg (Three Mile Island) eingeführt wurde. Veröffentlicht wurde die Studie von Parrow in seinem Buch 'Normal Accidents: Living With High Risk Technologies', Princeton,1984 (Neuauflage 1999). Demnach kann es in komplexen Systemen zu einem schweren Unfall kommen, wenn sich unerwartete und unvorhersehbare Ausfälle, die für sich genommen harmlos sind, miteinander verketten.

Laut Basdevant kann ein nuklearer Unfall im AKW Fessenheim mehr als dramatische Auswirkungen haben. Der Meiler befindet sich an der Basis des Oberrhein-Aquifers, einem der größten Trinkwasservorkommen Europas. Zudem befindet sich das AKW an der Basis des Rheintals zwischen Basel und Rotterdam, dem am dichtesten besiedelten Gebiet Europas mit einer hohen Konzentration von Industrieanlagen. Dies würde im Falle einer partiellen Kernschmelze mit Austritt von Radioaktivität aus dem Reaktordruckbehälter und einem Dammbruch bedeuten, daß der Rhein bis nach Rotterdam kontaminiert wird. Ein schwerer Unfall im AKW Fessenheim wäre eine dramatische Katastrophe für ganz Europa und nach den Worten Basdevants "ein Dolchstoß, der das Leben dieser Region für mehr als 300 Jahre vernichten würde."

"Aus meiner Sicht ist die Stilllegung des AKW Fessenheim eine Anwendung des Vorsorgeprinzips, die - wie bereits erwähnt - aus einer moralischen Pflicht angesichts der europäischen Bevölkerung abzuleiten ist," so der französische Physik-Professor.

Und mit Blick auf den internationalen AKW-Bestand konstatiert Basdevant, daß das Hauptproblem der französischen Atomkraftwerke dem der US-amerikanischen und japanischen ähnelt. "Vom Konstruktionsprinzip her sind sie vom selben Typ und weisen das selbe Risiko einer Kernschmelze auf, gegen deren Auswirkungen wir bis zum heutigen Zeitpunkt hilflos sind," so Basdevant. "Die Kernschmelze und ihre katastrophalen Folgen ist - das betone ich ausdrücklich - ein Problem praktisch aller bestehenden und der Stromgewinnung dienenden Atomkraftwerke weltweit."

Basdevant weist ausdrücklich darauf hin, daß ein Unfall dieses Typs sämtliche 58 französischen Atom-Reaktoren betrifft und insbesondere die beiden Reaktoren des AKW Fessenheim. Ein einziger solcher Unfall wäre eine Tragödie für Frankreich. Die Auflagen, die von der ASN nach dem Super-GAU von Fukushima erteilt wurden, können die Sicherheit der Reaktoren verbessern, das Risiko aber nicht beseitigen.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      AKW Fessenheim
      Nachrüstungen können die Katastrophe nur verzögern
      (21.12.12)

      AKW Fessenheim
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      65.000 für Atom-Ausstieg
      bei Internationaler Menschenkette im Rhônetal
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      Forderung nach sofortiger Stilllegung
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      Der siamesische Zwilling: Atombombe
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      Atomenergie in Frankreich
      Folge 11 der Info-Serie Atomenergie