Bio-Lebensmittel: Die Produktion in Deutschland
hinkt der Nachfrage hinterher
Bonn (LiZ). Die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln ist in Deutschland zwischen 2006 und 2012 um 30 Prozent gestiegen. Zugleich wird von "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" nach wie vor die Agrar-Wende gebremst, indem die industrielle Landwirtschaft gegenüber der Bio-Landwirtschaft ein Vielfaches der Subventionen erhält.
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland für Bio-Lebensmittel gut sieben Milliarden Euro ausgegeben. Dies ist dreimal mehr als im Jahr 2000. Doch dieses Geld fließt zu großen Teilen nach Österreich, Israel, Ägypten, den Niederlanden, Italien, Frankreich und Spanien, da zwischen der Nachfrage und der Produktion deutscher Bio-LandwirtInnen eine immer größere Lücke klafft. Die stark wachsende Nachfrage muß daher zu immer größeren Teilen durch Importe gedeckt werden. Diese in der Naturkost-Branche seit Jahren bekannte Tatsache wird nun auch durch eine Studie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn bestätigt.
"Der Hauptgrund für das Auseinanderklaffen von wachsender Nachfrage und der Anzahl der hiesigen Betriebe sowie der biologisch bebauten Landwirtschaftsflächen liegt vor allem in den Entscheidungen der verantwortlichen Politikentscheider. Insbesondere seit 2003 hat sich die Situation verschärft. Das Handelsvolumen und der Absatz von Ökoprodukten ist im Vergleich zur umgestellten Fläche und den neu hinzukommenden Betrieben etwa um den Faktor 2,5 gestiegen. Die heimische Umstellung hinkt der Entwicklung beim Absatz seit Jahren hinterher," so Ulrich Köpke vom Institut für Organischen Landbau der Universität Bonn.
In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2000 auf dem Höhepunkt der BSE-Krise verkündete, er wolle nun die Agrar-Wende vorantreiben. Er entließ Agrar-Minister Karl-Heinz Funke und Gesundheitsministerin Andrea Fischer und gab die Parole aus "Weg von den Agrarfabriken". Die neue Agrar- und Verbraucherschutz-Ministerin Renate Künast wurde als Galionsfigur aufgebaut. Doch bereits Anfang 2005 war nicht mehr zu leugnen, daß Deutschland bei der Entwicklung der Bio-Landwirtschaft im europäischen Vergleich vom zweiten Platz (1993) auf den neunten Platz zurückgefallen war (siehe unseren Artikel v. 24.01.04). Ungeachtet dessen tritt die im Jahr 2005 abgewählte Pseudo-Grüne Renate Künast noch heute in der Öffentlichkeit frech als Sachwalterin der Bio-Landwirtschaft auf.
Aus der aktuellen Studie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn geht hervor, daß LandwirtInnen in anderen europäischen Ländern in zunehmendem Maße erkannt haben, daß der deutsche Naturkost-Markt expandiert. Ihnen werden staatlicherseits oft deutlich weniger Steine in den Weg gelegt als in Deutschland, so daß die Umstellung auf Bio-Landwirtschaft leichter fällt. Dies zeigen vor allem die entsprechenden landwirtschaftlichen Nutzflächen in Polen und den baltischen Ländern. Während 2004 in Polen nur knapp 83.000 Hektar Land ökologisch bewirtschaftet wurden, waren es 2010 fast 522.000 Hektar - ein Plus von 531 Prozent. Die Zuwachszahlen der deutschen Bio-Landwirtschaft sind jedoch bis heute marginal. Während sich die Nachfrage gegenüber dem Jahr 2000 verdreifachte, verdoppelte sich der Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche des ökologischen Landbaus in diesem Zeitraum lediglich auf 6,3 Prozent. Heute stammen jeder zweite Bio-Apfel und jede zweite Bio-Möhre, die in Deutschland verkauft werden, aus dem Ausland. Und weite Transportstrecken schlagen bei der Ökobilanz negativ zu Buche.
Doch auch die Propaganda, Äpfel aus Übersee wiesen eine bessere Ökobilanz auf als in Deutschland angebaute, ist leicht zu widerlegen: Zu einer auf solche Weise verfälschten Ökobilanz kann es nur kommen, wenn in sogenannten Bio-Supermärkten Äpfel auch außerhalb der Saison - also im Frühjahr und im Sommer angeboten werden. Dies ist jedoch nur mit einer energieintensiven Langzeit-Lagerung in Kühlhäusern möglich. Solcherart gelagertes Obst weist dann selbstverständlich eine schlechtere Ökobilanz auf als etwa frisches Obst, das mit Containerschiffen aus Neuseeland nach Deutschland transportiert wird. Im Bioladen jedoch wird stets nur saisonales Obst und Gemüse angeboten.
Wenig überraschend ist auch die Ökobilanz etwa bei Erdbeeren in der Vorsaison: Diese belasten in aller Regel das Klima stärker als Importe aus Italien. Denn im Frühjahr werden in Deutschland die Erdbeeren in beheizten Gewächshäusern und unter Folien angebaut. Bio-Erdbeeren sind dies aber in keinem Fall - auch wenn sie die offiziellen Kriterien erfüllen und tatsächlich ohne Pestizide und ohne chemische Düngemittel angebaut wurden.
Nach wie vor sind jedoch nicht Unklarheiten, was eigentlich Bio-Lebensmittel sind, die größten Hemmnisse beim weiteren Voranschreiten der Agrar-Wende. Gebremst wird vor allem mit Hilfe der Parteien-Politik, die - ob offen oder unter falscher Flagge - durchweg im Dienste der industriellen Landwirtschaft agiert. Dominierende Umstellungshindernisse sind den Bonner ExpertInnen zufolge der politikgetriebene Preisanstieg für konventionelle Lebensmittel. Die einseitige Förderpolitik für im industriellen Maßstab betriebene Biogasanlagen und durch Kurswechsel verursachte Verunsicherungen hinsichtlich der lediglich als politisches Alibi dienenden Förderung der Bio-Landwirtschaft wirken sich ebenfalls negativ aus. Darüber hinaus ist es bei den Verhandlungen zum Europäischen Finanzrahmen im Bereich der Landwirtschafts-Förderung zu Kürzungen von 15 bis 20 Prozent gekommen. Und diese Kürzungen treffen vor allem die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe und damit überwiegend die Bio-Landwirtschaft. So rückt das vor langer Zeit verkündete Ziel, 20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen in Deutschland biologisch zu bebauen, in immer weitere Ferne.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Bienen und Wildinsekten sind überlebenswichtig
Industrielle Landwirtschaft ohne Zukunft (27.02.13)
Dem deutschen Wald geht es schlechter
als in den 1980er-Jahren (4.02.13)
Pestizide vernichten Amphibien
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Umweltverbände: Aigners Pestizid-Aktionsplan
ist "mangelhaft" (25.10.12)
EU-Kommission versucht Gen-Honig
durch die Hintertür einzuschmuggeln (24.10.12)
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