70 Fußballfelder Urwald pro Tag
Die Umwelt-Katastrophe in Europa
Bukarest (LiZ). Seit Jahren werden in Rumänien Buchen-Urwälder abgeholzt, ohne daß dies in der europäischen Öffentlichkeit als Umwelt-Katastrophe wahrgenommen wird. Tag für Tag fallen etwa in den Karpaten nicht selten 500-jährige Buchen der Kettensäge zum Opfer. Tag für Tagen geht in Rumänien Urwald mit einer Fläche von mehr als 70 Fußballfeldern verloren.
Satelliten-Aufnahmen beweisen, daß in Rumänien allein zwischen 2000 und 2011 rund 280.000 Hektar Wald verschwanden - Dank der Profit-Gier von Holz-Konzernen, deren Spuren sich nicht selten bis nach Österreich verfolgen lassen. Theoretisch sind die rumänischen Wälder durch Gesetze, Vorschriften, Naturschutzgebiete und Kontrollsysteme geschützt - doch vielfach existiert dieser Schutz nur auf dem Papier.
In Polen sieht es beim Raubbau an den Wäldern nicht viel besser aus. Der polnische Nationalpark Bialowieza wird systematisch ruiniert. In diesem Sommer protestierten NaturschützerInnen mit Blockaden gegen die Waldrodungen - ohne Erfolg. Selbst der eindringliche Appell der UNESCO, Bialowieza zu verschonen, verhallte. Die rechtsextreme polnische Regierung ignorierte ebenso die ultimative Aufforderung der EU-Kommission, sich an das geltende europäische Recht zu halten und den großflächigen Einschlag in dem Natura-2000-Gebiet zu unterbinden. Auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs verhallte wirkungslos. Dieser hatte in ungewöhnlichem Klartext den sofortigen Stop der Abholzung angeordnet. Nun könnte die polnische Regierung ihr Stimmrecht auf EU-Ebene verlieren - mehr hat sie nicht zu befürchten.
Auch in den rumänischen Fogarascher-Karpaten wird weiter illegal abgeholzt, Buchen fallen selbst in der sommerlichen Schonzeit der Kettensäge zum Opfer. Vor den Augen der Behörden, der NaturschützerInnen, der Politik, der Europäischen Union verschwinden Mitteleuropas letzte Urwälder. Allein in Rumänien verschwand eine Waldfläche von rund 300.000 Hektar, mehr als der Größe des Saarlandes - die Hälfte hiervon in eigentlich geschützten Zonen. Auf Satteliten-Aufnahmen ist zu sehen, daß sich die abgeholzten Mondlandschaften bis an die ukrainische Grenze erstrecken. Ab dieser Grenze sich große Waldflächen noch intakt. Doch je mehr die Ukraine wirtschaftlich für die EU geöffnet wird, desto eher werden auch die dortigen Wälder profitgierigen westlichen Holz-Konzernen zum Opfer fallen.
Selbst Gerald Schweighofer, Geschäftsführer von Holzindustrie Schweighofer, Österreichs größtem Holz-Konzern mit 3.500 MitarbeiterInnen, räumte schon vor einem Jahr ein: "In rumänischen Wäldern läuft vieles schief." Greenpeace beschuldigt Schweighofer, an der Rodung von Urwäldern in Rumänien insbesondere im Gebiet Transsilvanien beteiligt zu sein. Die Organisation erhob die Anschuldigung, Schweighofer sei dort für 50 Prozent der Fällungen von Nadelhölzern verantwortlich. Schweighofer wies dies mit dem Hinweis zurück, sein Unternehmen kaufe lediglich bereits geschlagenes Holz auf, sei aber nicht an Rodungen in Rumänien beteiligt. Greenpeace zeigte jedoch auf, daß der österreichische Konzern auch illegal gerodetes Holz verarbeitete und hierfür sogar Boni bezahlte.
Schweighofer konnte für lange Zeit sein Holz sogar mit den FSC-Siegel (Forest Steward Council) verbrämen und so den Anschein erwecken, es stamme aus nachhaltiger Fortwirtschaft. Im November 2016 leitete dann jedoch sogar der WWF einen Beschwerdeprozeß ein. Nach einer Überprüfung durch drei Experten, die die Vorwürfe bestätigten, und einer 3-monatigen Probezeit wurden Holzindustrie Schweighofer am 16. Februar 2017 nicht nur alle drei FSC-Zertifikate entzogen, sondern auch eine Disassozierung ausgesprochen. Am 17. Februar 2017 wurde der Rauswurf aus dem FSC bestätigt, nachdem deren Untersuchungskommission "eindeutige und überzeugende Beweise" gefunden habe, daß die Schweighofer-Gruppe in Rumänien "am illegalen Einschlag oder Handel von illegalem Holz beziehungsweise Holzprodukten beteiligt war".
In Rumänien ist der in Österreich durch die "Silberstein-Affäre" bekannt gewordene Tal Silberstein als Berater für den Schweighofer-Konzern tätig. Der PR-Beratervertrag Silbersteins war von März bis Dezember 2017 mit einem Honorar von 35.000 Euro monatlich dotiert.
Der Einstieg Gerald Schweighofers in Rumänien erfolgte zeitgleich mit der ökonomischen Öffnung des Landes für den Westen. Ab Ende der 1990er-Jahre verkaufte Gerald Schweighofer seine Niederlassungen in Westeuropa, nahm dann das ganze Geld und setzte ein riesiges Sägewerk ins waldreiche Siebenbürgen, genauer: nach Sebes, zu Deutsch Mühlbach. Die Kapazität des neuen Werks ging weit über das hinaus, was damals ringsum an Holz geschlagen wurde – und, wie sich bald zeigte, auch weit über das, was nach den Gesetzen des Landes geschlagen werden durfte. Offenbar wurde so eine Nachfrage geschaffen, die ökonomisch den entsprechenden Sog entwickelte. Schon bald wurde mehr Wald abgeholzt, als nach den eh laxen Gesetzen Rumäniens hätte geschlagen werden dürfen. Inzwischen verfügt Schweighofer über drei Sägewerke und zwei Plattenfabriken im Land und muß, um sie noch auszulasten, Holz schon in großem Stil aus der Ukraine importieren. Im Jahr 2016 verarbeitete Schweighofer nach firmeneigenen Angaben in allen Werken in Rumänien insgesamt 2,6 Millionen Festmeter. Das Holz stammt nicht allein aus rumänischen Wäldern, sondern auch aus Polen, Rußland und der Ukraine.
Der ökonomische Sog, die Verlockung des schnellen Geldes, blieb nicht ohne Wirkung auf die Bauern aus den nahen Apuseni-Bergen. Diese verkauften ihre Waldnutzungsrechte aus der Zeit der Kaiserin Maria Theresia an Schweighofer. Holzfäller gründeten Firmen. Wer einen LkW auftreiben konnte, verlegte sich auf den Transport von Baumstämmen. Inzwischen sind viele Hügel in den Apuseni-Bergen kahl. Im Frühjahr wälzten sich schon Schlammlawinen durch die Dörfer.
Inzwischen wurden Kontroll-Systeme ausgeweitet und verfeinert. Sämtliche Holztransporte in Rumänien müssen heute mit GPS ausgestattet sein und so kann - theoretisch - jeder einzelne Transport genau nachvollzogen werden. Es wurde ein Wood-Tracker-Telefon eingerichtet, das es den rumänischen BürgerInnen erlaubt, im Ministerium anzurufen, um feststellen zu lassen, ob ein Transport legales oder illegales Holz geladen hat.
Doch der ökonomische Sog hebelt auch dieses Kontroll-System aus. Das reichlich aus dem Ausland nach Rumänien fließende Geld hat der ohnehin nicht unterentwickelten Korruption im Lande zu einer nie dagewesenen Blüte verholfen. Förster kassieren ab, um gefälschte Zertifikate zu erteilen, Kontrolleure kassieren ab, um beide Augen zuzudrücken oder für Ausnahmegenehmigungen eine Epidemie des Buchdruckers oder irgendeines anderen Schadinsekts oder Sturmschäden zu erfinden und Polizisten kassieren ab, um immer gerade dort präsent zu sein, wo gerade nicht illegal gefällt wird. In einem nach europäischen Maßstäben armen Land wie Rumänien ist dies nicht eben verwunderlich.
So hat etwa Romsilva, die staatliche Forstverwaltung mit Sitz in Bukarest, die dem rumänischen Ministerium für Wasser und Wälder untersteht, kürzlich eine Einschlags-Konzession für einen alten Naturwald mit einem Durchschnittsalter von 210 Jahren versteigert. Der wertvolle Wald liegt im Herzen des Nationalparks Domogled – Valea Cernei. Die staatliche Forstverwaltung Romsilva ist verantwortlich für das Nationalpark-Management. Mitte dieses Jahres schlugen UmweltschützerInnen Alarm, weil Romsilva die Genehmigung für die Abholzung eines Urwaldes im oberen Cerna-Tal, erteilt hatte. Der Wald liegt ebenfalls im Herzen des Nationalparks, im nahezu unberührten Seitental Radocheasa – inmitten großer, intakter Buchenwälder. Holz, das nun aus diesen beiden verbrecherischen Abholzungen stammt, ist also mit staatlichem Segen nicht einmal illegal.
Die Korruption an der Spitze des rumänischen Staates zeigt sich zudem darin, daß die amtierende Regierung die seit Jahresbeginn zur Verfügung stehenden EU-Gelder zum Ausgleich von Nutzungsverzicht in ursprünglichen und alten Wäldern bis heute nicht abgerufen hat. Bis Ende 2020 stehen mehr als 60 Millionen Euro zur Verfügung, um private Waldeigentümer für den Nutzungsverzicht in ökologisch wertvollen Wäldern finanziell zu entschädigen. Laut jüngsten Mitteilungen der rumänischen Regierung sollen im Jahr 2017 lediglich 6 Prozent der Gesamtsumme ausgegeben werden.
Der schwedische Möbel-Konzern Ikea ist heute der größte private Waldbesitzer in Rumänien. Wer dies für Zufall hält, darf auch an den Weihnachtsmann glauben. Noch existieren rund 40.000 Hektar Urwälder in Europa, die seit der letzten Eiszeit intakt geblieben sind - die meisten hiervon in Rumänien und Polen an der Grenze zu Weißrußland.
Anmerkungen
Siehe auch:
Wald-AIDS in Ba-Wü
Weiter zwischen Leben und Tod (10.12.15)
Wald-AIDS 2014
Zustand zwischen Leben und Tod (11.02.15)
Wald-AIDS in Baden-Württemberg
Buchen besonders stark geschädigt (4.12.14)
Buschbeller Wald bei Köln bedroht
Unsinniger Sandabbau (21.07.14)
Wald-AIDS 2013
Zustand schlechter - nicht besser (10.03.14)
Nationalpark im Schwarzwald kommt
Kleiner Fortschritt in Baden-Württemberg (28.11.13)
Wald zu 98 Prozent Rohstofflieferant
Nur 2 Prozent Naturwald dienen als Alibi (15.10.13)
Dem deutschen Wald geht es
schlechter als in den 1980er-Jahren (4.02.13)
Wald-AIDS greift um sich
Zustand der Buchen auf historischem Tiefpunkt (2.03.12)
Merkel degradiert Wald zum Rohstofflieferanten
Wald-AIDS in den Medien nahezu vergessen (21.09.11)
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Sarkozy: "Industrielle Landwirtschaft unschuldig"
(29.07.11)
Keine Entwarnung bei Wald-AIDS
Zustand kaum verändert (1.02.11)
Wald-AIDS in Baden-Württemberg
Schäden innerhalb der Schwankungsbreite
Zustand der Eichen nach wie vor "alarmierend" (27.11.10)
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Für eine Agrar-Wende (23.11.10)
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