Wald zu 98 Prozent Rohstofflieferant
Nur 2 Prozent Naturwald dienen als Alibi
Berlin (LiZ). Das Bundesamt für Naturschutz hat gestern verlautbart, bis 2020 könnten 2,3 Prozent der deutschen Waldfläche der natürlichen Entwicklung überlassen werden. Dabei hatte die damalige "schwarz-rote" Bundesregierung im Jahr 2007 großartig in einer "nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt" angekündigt, Naturwald solle bis 2020 fünf Prozent des deutschen Waldbestands ausmachen. All dies geht jedoch völlig an der Realität vorbei, denn der Zustand der deutschen Wälder ist schlechter als zu Zeiten des "Waldsterbens" der 1980er-Jahre.
Und real stehen heute 1,9 Prozent der deutschen Waldfläche unter Naturschutz. Das entspricht einer Fläche von rund 2.100 Quadratkilometern - etwas weniger als die Fläche des Saarlands. Weitgehend aus dem allgemeinen Bewußtsein verdrängt ist auch der elende Zustand der deutschen Wälder, da dieser nur einmal im Jahr - anläßlich der Veröffentlichung des "Waldzustandsberichts" der Bundesregierung - in den Mainstream-Medien zur Sprache kommt (siehe unseren Artikel v. 4.02.13) Doch die Ursachen der Misere werden auch an diesem einen Tag im Jahr in aller Regel ausgeblendet.
Das Bundesamt für Naturschutz hatte die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt den Auftrag erteilt, herauszufinden, welche Wald-Flächen potentiell in einen natürlichen Wald umgewidmet werden könnten. Da aber die Förster in ihrer großen Mehrheit mit der Holzindustrie verbandelt sind, war unschwer vorhersehbar, zu welchem Resultat ihre Untersuchung führen würde.
Umweltverbände kritisieren, daß seit der Einführung der "nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt" - also in den vergangenen fünf Jahren - nicht viel geschehen ist. Viele Bundesländer zieren sich, überhaupt eine Planung, wie und wann sie Waldflächen aus der forstlichen Nutzung nehmen könnten, vorzulegen. Dabei ist das eigentliche Problem nicht so sehr, wie viel Waldfläche als Naturwald ausgewiesen wird, sondern, daß endlich die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um das Siechtum der Wälder zu stoppen - bevor es irgendwann tatsächlich zu spät ist und es zu einem großflächigen Absterben kommt.
Diskussionen hat es dagegen in den vergangenen Jahren viele über die wohlklingende "nationale Strategie zur biologischen Vielfalt" gegeben. Das Interesse an einem lebensfähigen Ökosystem Wald stößt hart auf das Interesse der holzverarbeitenden Industrie. Und wie üblich läßt der Kapitalismus keinen Raum für Nachhaltigkeit - obwohl dieser Begriff ausgerechnet aus der Waldwirtschaft stammt. Allein das kurzfristige Profitinteresse bestimmt das Handeln, auch wenn damit mittelfristig die Grundlage dieses Profits zerstört wird. Viele Akteure aus Holz- und Forstwirtschaft hatten die 2007 verkündete "nationale Strategie zur biologischen Vielfalt" für bare Münze genommen und wirtschaftliche Einbußen befürchtet. Sie lamentierten: Wald nutzen und Wald schützen stünden nicht im Widerspruch. Umweltverbänden wie Nabu und BUND hingegen fordern mehr als jene fünf Prozent als Zielmarke. Denn nur mit mehr Naturwald lasse sich die Artenvielfalt in Deutschland zu erhalten.
"Deutschland hat einen Mangel an natürlichen Wäldern und hinkt seinen eigenen Zielen zum Schutz der Biodiversität hinterher," kommentierte Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland (BUND) die Veröffentlichung des Bundesamt für Naturschutz. "Bei dem derzeitigen Tempo beim Schutz der Wälder wird es unmöglich sein, die im Rahmen der nationalen Biodiversitätsstrategie anvisierten fünf Prozent natürliche Waldentwicklung bis 2020 noch zu erreichen. Das Fehlen wichtiger Lebensräume bedeutet jedoch das Aussterben zahlreicher Tier- und Pflanzenarten," so der BUND-Vorsitzende.
Der BUND fordert die Ausweisung weiterer Naturparks wie beispielsweise im nördlichen Steigerwald, im Nord-Schwarzwald und im Hunsrück. Zugleich sei es wichtig, verstärkt auch kleinere Waldflächen dauerhaft einer natürlichen Entwicklung zu überlassen. Der BUND hofft offenbar weiterhin darauf, daß eine Bundesregierung so etwas wie ein Bund-Länder-Programm "Natürliche Waldentwicklung" gegen starke Lobbyverbände auch nur in Erwägung zu ziehen bereit sein könnte.
Weiter fordert der BUND, den Anteil der Naturwälder im öffentlichen Wald auf mindestens zehn Prozent zu erhöhen. "Viele Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, die auf die Alters- und Zerfallsphasen der Bäume und eine natürliche Dynamik im Wald angewiesen sind, sind stark gefährdet. Ihr Schutz schließt eine forstliche Nutzung aus. Weißrückenspecht, Eremit oder Igel-Stachelbart haben nur eine Chance, wenn sich die Wälder wieder frei entwickeln können und Wildnis entstehen darf", erklärte Nicola Uhde, BUND-Waldexpertin.
Vergessen werden darf bei diesen Überlegungen allerdings nicht, daß das Ökosystem Wald auf Dauer nur eine Überlebens-Chance erhält, wenn grundlegende gesellschaftliche Veränderungen durchgesetzt werden. Die chronische Belastung der Wälder durch Schadstoffe insbesondere aus der industriellen Landwirtschaft kann nur verringert werden, wenn das Wachstum der Biolandwirtschaft in Deutschland nicht weiter rigoros behindert wird. Und neben der Agrar-Wende ist die Verkehrs-Wende für die Zukunft der deutschen Wälder existentiell.
Anmerkungen
Siehe auch:
Illegales Tropenholz?
Greenpeace erstattet Anzeige (13.08.13)
Sitzbänke aus Tropenholz
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Dem deutschen Wald geht es
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Wald-AIDS in den Medien nahezu vergessen (21.09.11)
Regenwald in Kamerun
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Waldzerstörung
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Hermes-Bürgschaften
auch für Regenwaldzerstörung (1.04.2001)
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Waldzerstörer weiterholzen (27.02.2001)
Bald keine Bäume mehr an Deutschlands Straßen?
(28.07.2000)