Tokio (LiZ). Am gestrigen Freitag nahmen 160.000 Menschen in Tokio am Protest gegen den Neustart der Atomenergie teil. Von den 50 nach dem Super-GAU von Fukushima abgeschalteten Atom-Reaktoren wurde in den vergangenen Tagen als erster ein Reaktor des AKW Oi reaktiviert. Die Strom-Konzerne versuchen so den Wiedereinstieg in die Atomenergie durchzusetzen.
Stetig zunehmender Nieselregen konnte die Stimmung der DemonstrantInnen im Zentrum Tokios nicht dämpfen. Die meisten hatten Schirme dabei oder schützten sich mit Regen-Capes. Die Menge riefe in Sprech-Chören: "Saikado Hantai" ("Nein zum Neustart") und drückten damit ihre Empörung über die Mißachtung der Demokratie aus. Der japanische Ministerpräsident Yoshihiko Noda hatte am 8. Juni dem Druck der Strom-Konzerne nachgegeben und gegen den Willen einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung dem Neustart der Atomenergie zugestimmt. Laut 'Japan Times' hatte eine landesweite Umfrage ergeben, daß 59,5 Prozent der Befragten den Neustart der Reaktoren des AKW Oi ablehnen und nur 26,7 Prozent das erneute Hochfahren befürworten.
Nach Darstellung der meisten Mainstream-Medien markiert die Wiederaufnahme der Stromerzeugung im AKW Oi einen "Neustart der Atomenergie" in Japan, nachdem in den vergangenen 15 Monaten nach der Katastrophe die noch funktionsfähigen 50 Atom-Reaktoren nach und nach abgeschaltet worden waren.
Die japanische Regierung unter Yoshihiko Noda erklärte im Auftrag der Strom-Konzerne, das ressourcenarme Japan sei gezwungen auf die Atomenergie zurückzugreifen, um Stromausfälle und Blackouts in diesem Sommer zu vermeiden. Die 17 Atomkraftwerke mit insgesamt noch 50 funktionsfähigen Reaktorblöcken seien einer gründlichen Sicherheitsprüfung unterzogen worden. Zugleich wurde offensichtlich, daß es sich einzig und allein um eine Frage der Profite handelt, da die rein betriebswirtschaftlichen Kosten bei der Stromproduktion mit Kohle und Gas in den vorhandenen konventionellen Kraftwerken höher sind als bei der Stromproduktion in Atomkraftwerken - zumindest, solange die Kosten für die Folgen der Katastrophe von Fukushima und die Kosten einer Endlagerung des Atommülls der Gesellschaft aufgebürdet werden können.
Mittlerweile haben viele BürgerInnen und auch Abgeordnete in Japan öffentlich kritisiert, daß die Profite der Wirtschaft anscheinend wichtiger seien als das Risiko eines weiteren Super-GAU. Auf der gestrigen Demonstration in Tokio sagte die Hausfrau Setsuko Naoe: "Ich sehe mich gezwungen, mich dem Protest anzuschließen, weil die Herrschenden keinerlei Lehre aus der Kernschmelze von Fukushima gezogen haben." Naoe beklagte zugleich die einseitige Berichterstattung der meisten japanischen Medien und kritisierte insbesondere die quasi-offizielle nationale Rundfunkanstalt NHK, die kaum über die Proteste berichte. All jene, die ihren Standpunkt teilen, würden hiervon jedoch keineswegs entmutigt. Obwohl es sich bei der gestrigen Demonstration um eine der größten handelte, die Tokio im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte sah, räumte NHK in der Haupt-Nachrichtensendung um 21 Uhr den Protesten lediglich einen 20 Sekunden dauernden Beitrag ein.
Nach Ansicht vieler Beobachter hatte die gestrige Demonstration eine Größe, wie sie zuletzt bei den Demonstartionen in den 1960er-Jahren in Tokios Straßen zu sehen war. Auffallend sei zudem, daß sich die gegenwärtigen Anti-Atomkraft-Demonstrationen von jenen darin unterscheiden, daß sie nicht aus radikalen jungen Menschen bestehen, sondern einen Querschnitt durch die Bevölkerung repräsentierten, was ein Ausdruck der vielfältigen Basisbewegungen sei.
Anmerkungen
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