25.01.2013

Experte Hajo Funke:
NSU bestand aus mehr als 3 Personen

Pässe für Neonazi-Terroristen
Berlin (LiZ). Der Berliner Politik­wissenschaftler Hajo Funke ist der Ansicht, daß die Neonazi-Terrorgruppe NSU aus mehr als drei Personen bestanden hat. Funke, der die "Aufarbeitung" der NSU-Mord­serie seit einem Jahr in den Untersuchungs­ausschüssen auf Bundes- und Landesebene begleitet, kritisiert die "Sicherheits"-Behörden scharf. Eine Aufklärung drohe an "einer teils massiven Blockade" der Geheimdienste zu scheitern.

"Es gibt klare Hinweise, daß der NSU aus mehr als drei Leuten bestand," sagt Hajo Funke. In der Berichterstattung der Mainstream-Medien wird seit Monaten der Eindruck vermittelt, beim NSU habe es sich ausschließlich um die drei Personen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Z. gehandelt. Für seine Einschätzung, daß mehr Personen aktiv in die Mordserie, der zwischen September 2000 und April 2007 zehn Menschen zum Opfer fielen, beteiligt gewesen sein müssen, nennt Funke als Beispiel die Umstände des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn: Mehrere ZeugInnen berichteten unabhängig voneinander von der hektischen Flucht zweier männlicher Personen mit blutverschmierter Kleidung als auch von drei weiteren Personen, die aktiv Fluchthilfe leisteten. Ungeklärt ist bislang auch, wie Böhnhardt und Mundlos in den Besitz von Personalausweisen gelangten, die aufgrund ihrer hohen Qualität nur aus Geheimdienst-Kreisen stammen können.

Als Schwerpunkt der "massiven Blockade" der Aufklärung des Hintergrunds der NSU-Verbrechen sieht Funke die "Sicherheitsbehörden" des Landes Sachsen. "Dort stößt die Aufklärung auf die größten Widerstände," so Funke, der die Arbeit der Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Landesebene seit einem Jahr begleitet und von den den Gremien in Thüringen und Bayern als Sachverständiger hinzugezogen wurde. Der NSU-Bundestagsausschuß war am 26. Januar 2012 eingesetzt worden. Gleichzeitig begann ein Parlamentsausschuß in Thüringen seine Arbeit. Später folgten Ausschüsse in Sachsen und Bayern.

Während jedoch seit Mai vergangenen Jahres keine neuen Erkenntnisse über den NSU mehr zutage kamen, wurden zugleich immer neue Fälle von Aktenvernichtung bei den Geheimdiensten bekannt. Fünf Führungsleute traten in den vergangenen Monaten zurück:

Am 2. Juli 2012 bat "Verfassungsschutz"-Präsident Heinz Fromm den zuständigen Bundes-Innenminister Hans-Peter Friedrich um seine Versetzung in den Ruhestand. Kurz zuvor war bekanntgeworden, daß der "Verfassungsschutz" nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos (4. November 2011) Akten vernichtete, in denen dokumentiert war, wie mit V-Leuten aus dem NSU-nahen Thüringer Heimatschutz zusammen­gearbeitet wurde.

Nur einen Tag später, am 3. Juli, mußte Thüringens "Verfassungsschutz"-Präsident Thomas Sippel seinen Hut nehmen. Landes-Innenminister Jörg Geibert versetzte Sippel in den einstweiligen Ruhestand. Der "Verfassungs­schutz"-Chef stand vor allem wegen seiner "Informations­politik" zur umstrittenen 'Operation Rennsteig' in der Kritik. Bei der geheimen Aktion ging es zwischen den Jahren 1997 und 2003 um den Einsatz von V-Leuten im Umfeld des 'Thüringer Heimatschutzes'. Der Thüringer "Verfassungs­schutz" war daran gemeinsam mit dem Bundes-"Verfassungsschutz" und dem dritten Geheimdienst auf Bundesebene, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) beteiligt. Dennoch hatte er - sicher nicht ohne Kenntnis des Ministers - dem Untersuchungsausschuß im Landtag wichtige Akten vorenthalten.

Am 11. Juli trat Sachsens "Verfassungsschutz"-Präsident Reinhard Boos zurück, nachdem bekannt geworden war, daß auch seine Behörde in Dresden Geheimakten zurückgehalten hat, die zur Aufklärung der NSU-Mordserie hätten beitragen könnten. In Sachsen verwahrte Protokolle einer Telefonüberwachung des Bundesamts für "Verfassungs­schutz" von Ende 1998 waren erst kurz zuvor aufgetaucht. Landesinnenminister Markus Ulbig sprach von "eklatantem Fehlverhalten" einzelner Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und räumt "Defizite" beim Informationsaustausch zum Rechtsextremismus in Sachsen ein.

Am 13. September bat Sachsen-Anhalts "Verfassungs­schutz"-Chef Volker Limburg um seine Versetzung in den Ruhestand. Einen Tag zuvor hatte Landes-Innenminister Holger Stahlknecht mitgeteilt, daß der Geheimdienst Sachsen-Anhalts - anders als zunächst behauptet - nun doch eine Kopie der Akte des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zur Vernehmung des NSU-Terroristen Uwe Mundlos in ihren Archiven entdeckt hätte. Im NSU-Untersuchungsausschuß in Berlin war kurz zuvor herausgekommen, daß der MAD möglicherweise versucht hatte, Mundlos 1995 als Informanten zu werben. Auch das Kriegs-Ministerium mit Thomas de Maizière an der Spitze habe offenbar schon Monate vorher von der Existenz der Mundlos-Akte gewusst.

Und als vorerst letzte in dieser Reihe trat am 14. November Berlins "Verfassungsschutz"-Chefin Claudia Schmid von ihrem Posten zurück. Sie reagierte damit auf Vorwürfe, daß der Berliner Geheimdienst mehrfach Akten vernichtete, die auch einen Bezug zur NSU-Terrorbande gehabt haben könnten. So sollen 2010 Papiere zum verbotenen Neonazi-Musiknetzwerk 'Blood & Honour' zerstört worden sein, obwohl sie im Landesarchiv hätten aufbewahrt werden müssen. Sogar im Juni 2012, nachdem das Ausmaß der NSU-Verbrechen längst bekannt war, seien noch Akten geschreddert worden.

Auch die 'Türkische Gemeinde in Deutschland' ist unzufrieden mit der Aufklärung der NSU-Mordserie, bei der acht der zehn Opfer türkischer Abstammung waren. Vorsitzender Kenan Kolat fordert ein Eingreifen der Bundesregierung und hofft, Bundeskanzlerin Angela Merkel werde die Aufklärung des Geheimdienstsumpfes zur "Chefsache" machen. Kolat ist sich sicher: "Staatliche Behörden haben zum Teil gezielt und bewusst vertuscht." Er vermeidet jedoch jegliche Frage nach deren Motiv. Daß die deutschen Geheimdienste eine aktive Rolle bei den NSU-Verbrechen spielten, wird von offizieller Seite nach wie vor kategorisch ausgeschlossen. So besteht der Auftrag sämtlicher parlamentarischer Untersuchungs­ausschüsse lediglich darin, "Pannen" und "Fehler" dieser Behörden zu untersuchen.


Indizien, daß die NSU-Terrorgruppe aus Bereichen staatlicher Institutionen unterstützt und gedeckt wurde (Stand Januar 2013):

Die Merkwürdigkeiten beginnen bereits am 24. Januar 1998 damit, daß Uwe Böhnhardt nicht festgenommen wurde, als in seinem Beisein eine Bombenwerkstatt in einer Garage von der Polizei ausgehoben wurde. Die Durchsuchung hatte nicht zufällig, sondern im Zusammenhang mit der Fahndung nach der Herkunft einer Briefbombenattrappe stattgefunden. Trotz des Fundes und einer vorangegangenen Verurteilung zu dreieinhalb Jahren wurde Böhnhardt an diesem Tag nicht festgenommen. Die Ausstellung eines Haftbefehls verzögerte sich um mehrere Tage, so daß Böhnhardt, Mundlos und Beate Z. in Ruhe untertauchen konnten.

Schon sehr bald muß die Neonazi-Terrorbande über gefälschte Pässe verfügt haben, die von so hoher Qualität waren, daß sie nur aus Geheimdienst-Kreisen stammen können. Bereits am 8. März 1999 bestand bei den Untergetauchten offenbar kein Bedarf mehr nach weiteren gefälschten Pässen - wie aus einem Telefonat zwischen Tino Brandt und Uwe Böhnhardt an diesem Tag hervorgeht.

Auch in den dreizehn Jahren, in denen die Neonazi-Terrorbande im Untergrund lebte, fanden unter den Augen des "Verfassungsschutzes" öffentliche Solidaritäts-Konzerte statt, deren Erlös für die Bande bestimmt war. Ebenfalls war den Behörden der Zusammenhang zwischen den "Döner"-Morden (amtliche Bezeichnung) und der Neonazi-Terrorbande bekannt. Denn auf einer indizierten und in Neonazi-Kreisen verbreiteten Musik-CD wird ein "Döner-Killer" und die Mordserie an neun Unternehmern türkischer und griechischer Herkunft besungen. Zudem würden darauf weitere Morde angekündigt.

Bei dem Mord am 6. April 2006 in Kassel war nachweislich ein Beamter des hessischen "Verfassungsschutzes" anwesend. Dessen Spitzname: kleiner Adolf. Nach Aussagen eines Zeugen steht dieser Geheimdienstler im Verdacht, Patronenhülsen am Tatort in eine Tüte eingesammelt zu haben, was darauf hindeutet, daß die Herkunft der Tatwaffen verschleiert werden sollte. Auffällig ist zudem, daß die Mordserie an türkisch- und griechischstämmigen Opfern mit diesem Mord endete.

Erst über ein Jahr später, am 25. April 2007, wird in Heilbronn die 22-jährige Bereitschaftspolizistin Michèle Kiesewetter erschossen. Ihr Kollege überlebt schwer verletzt. Die Tat wird ebenfalls der Neonazi-Terrorgruppe zugeordnet. Auch in diesem Zusammenhang tauchen in den Monaten November und Dezember 2011 etliche Indizien für eine Verwicklung staatlicher Stellen auf (siehe weiter unten).

Ein weiteres Indiz, daß Teile staatlicher Institutionen in die terroristische Mord-Serie verwickelt sind, sind die vom 'stern' veröffentlichten Aussagen von AnwohnerInnen des Eisenacher Neubaugebietes, wo das Wohnmobil stand, in dem die Leichen von Böhnhardt und Mundlos gefunden wurden: Entgegen den Aussagen der Polizei sollen vor dem Eintreffen der Feuerwehr beim brennenden Wohnmobil keine Schüsse zu hören gewesen sein. Laut der bis in den Dezember 2011 hinein verbreiteten offiziellen Darstellung hatten Böhnhardt und Mundlos nach einem Überfall auf eine Sparkasse in Eisenach das Wohnmobil gegen 11:30 Uhr angezündet und sich erschossen. Verdächtig ist zudem, daß nach dem Auffinden der Leichen am 4. November allzu schnell die Meldung verbreitet wurde, Böhnhardt und Mundlos hätten sich selbst erschossen - noch bevor das Ergebnis einer Obduktion vorliegen konnte. Auch wollen AnwohnerInnen eine dritte Person gesehen haben, die das Wohnmobil kurz vor dem Eintreffen der Polizei verlassen hat.

Auf dem Mobiltelefon des mutmaßlichen NSU-Mitglieds Beate Z. fanden sich für den 4. November 2011 insgesamt 72 Verbindungen. Dies ergab eine so genannte Funkzellenabfrage. Die Telefon-Nummer ergibt, daß aus dem Sächsische Staatsministerium des Innern, Wilhelm-Buck-Straße 2, ab 16:30 Uhr pausenlos versucht wurde, Beate Z. anzurufen. Um 17.50 Uhr versuchte die Polizeidirektion Südwestsachsen aus Zwickau das von Beate Z. benutzte Mobiltelefon zu erreichen. Um 18:12 Uhr versuchte es wieder eine unbekannte Person aus dem Staatsministerium. Wer kannte die Nummer von Beate Z.?

13. November 2011: Der Thüringer Innenminister Jörg Geibert erwähnte gegenüber der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung' die Vermutung eines LKA-Zielfahnders aus dem Jahr 2001, wonach zumindest einer der per Steckbrief gesuchten Neonazis von "oben" gedeckt werden.

15. November 2011: Es sickerte durch, daß Beate Z. nach dem Untertauchen mehrmals Kontakt zu V-Leuten des "Verfassungsschutzes" hatte. Zunächst lebte sie längere Zeit unbehelligt in Zwickau unter falschem Namen und wurde zugleich von mindestens drei "Verfassungsschutz"-Leuten observiert, da sie als Mitglied des neonazistischen "Thüringer Heimatschutzes" (THS) galt. Auch zu THS-Anführer Tino Brandt hatte sie zumindest bis Mitte 1998 regen Kontakt. Über ihn erfuhren die Geheimdienst-Leute wie die Neo-Nazis des "Thüringer Heimatschutzes" Beate Z. unterstützten.

18. November 2011: Hinweise tauchen auf, daß im Jahr 1999 offenbar eine Festnahme der Neonazi-Terrorbande in Chemnitz kurz vor dem Zugriff in letzter Minute gestoppt wurde. Auch das LKA soll damals seine ZielfahnderInnen zurückgepfiffen haben. Damit scheidet der Thüringer "Verfassungsschutz"-Präsident Helmut Roewer als Verdächtiger aus, der von 1994 bis Herbst 2000 amtierte. Die "schützende Hand" ist in einer höheren Ebene zu suchen. Nach Informationen des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) haben sich damals die zurückgepfiffenen LKA-MitarbeiterInnen massiv beschwert. Daraufhin habe ein Gespräch zwischen "hohen Vertretern des Innenministeriums" und den BeamtInnen stattgefunden.

20. November 2011: Es wird publik, daß auch der deutsche Geheimdienst MAD nach dem Abtauchen der Gruppe in den Untergrund über deren Aufenthaltsort informiert war. Diese Information kann als gesichert gelten, da der Aufenthaltsort der Untergetauchten nachweislich von der MAD-Stelle in Leipzig an die Kölner Zentrale gemeldet worden war.

30. November 2011: Laut einem Bericht des 'stern' waren Geheimdienst-Leute des US-amerikanischen DIA anwesend, als die deutsche Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn von der Neonazi-Terrorbande ermordet und ihr Kollege durch einen Kopfschuß schwer verletzt wurde. Aus ihrem Bericht geht hervor, daß auch deutsche Geheimdienst-AgentInnen bei dem Mord zugegen waren.

6. Dezember 2011: Informationen tauchen auf, wonach Telefonate der Bande abgehört wurden. Hier stellte sich selbstverständlich sofort die Frage, wie es möglich sein soll, daß der Geheimdienst die Telefonate abhörte, zugleich aber angeblich den Aufenthaltsort nicht festgestellte.

20. Dezember 2011: Der Thüringer "Verfassungsschutz" hat nach dem Untertauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Z. im Jahr 1998 die Ermittlungen der Polizei sabotiert. So soll der V-Mann und Neo-Nazi Tino Brandt aus den Reihen des Thüringer "Verfassungsschutzes" über konkrete Fahndungsmaßnahmen vorab informiert worden sein. Tino Brandt alias "Otto" soll den Angaben zufolge so erfahren haben, daß die Polizei ihn aus einer angemieteten Wohnung in der Nähe seines Rudolstädter Hauses heraus überwachte. Außerdem habe der sogenannte Verbindungsführer des Thüringer "Verfassungsschutzes" an Tino Brandt Informationen über die Zivilfahrzeuge der Polizei, mit denen er beschattet werden sollte, weitergeleitet.

22. Dezember 2011: Es wird bekannt, daß der V-Mann und Neo-Nazi Tino Brandt zumindest 1999 telefonischen Kontakt zu Uwe Böhnhardt hatte. Allein aufgrund dieser Tatsache ist es höchstwahrscheinlich, daß in Kreisen staatlicher Institutionen bekannt war, wo sich der Unterschlupf der Neonazi-Terrorbande befand.

31. Dezember 2011: Offenbar waren zumindest Teile der "Verfassungsschutz"-Ämter Thüringens und Sachsens im Zeitraum zwischen dem Untertauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Z. im Januar 1998 und Ende 2001 detailliert über die Neonazi-Terrorbande informiert. Aus Geheimdienst-Unterlagen geht hervor, daß in den Ämtern Anfang 1999 verlässliche Informationen vorlagen, daß sich die Bande in Chemnitz versteckt hielt. Bemerkenswert ist zudem, daß BeamtInnen Kenntnis davon hatten, daß bewaffnete Überfälle zumindest geplant waren. Auch kannten FahnderInnen im Zeitraum 2000, 2001 eine Wohnung, in der zwei mutmaßliche Unterstützer wohnten, die Uwe Böhnhardt und Beate Z. gelegentlich besuchten.

Januar 2012: Aus einem geheimen Untersuchungsbericht des "Bundesamts für Verfassungsschutz" (BfV), der kurz vor Weihnachten an die Bundesregierung geschickt worden war, geht hervor, daß das BfV schon im Frühjahr 1999 verläßliche Hinweise gehabt, daß sich die Gesuchten, Mundlos, Böhnhardt und Beate Z., in Chemnitz versteckt hielten. Eine im Frühjahr 2000 gestartete Operation des Thüringer "Verfassungsschutzes habe sogar bis zu einer Wohnung in Chemnitz geführt, in der zwei mutmaßliche Unterstützer wohnten und die Böhnhardt und Z. besuchten. Auch lagen schon im Frühjahr 2001 Hinweise vor, daß das Trio im Untergrund kriminell aktiv war.

Januar 2012: Aufgedeckt wird, daß Beate Z. im Januar 2007 von der Polizei an der Tür der damaligen konspirativen Wohnung in Zwickau und im Polizei-Revier vernommen worden war.

Februar 2012: Es wird bekannt, daß das Bundeskriminalamt (BKA) die Mobiltelefon-Daten einer Person im Umkreis der Neonazi-Terrorbande löschen ließ. BKA-Chef Jörg Ziercke bestätigte den Vorgang.

Mai 2012: Bei den Ermittlungen zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn wurde ein wichtiger Hinweis nicht verfolgt. Erst im Jahr 2009 hatten Fahnder einen Zeugen vernommen, der ausgesagt hatte, ihm sei am Mordtag an der Theresien-Wiese ein Wohnmobil aufgefallen. Die Überprüfung des Nummernschilds hätte zu der Neonazi-Terror-Bande führen können.

Bei einer Razzia in der Wohnung und in Geschäftsräumen des mecklenburg-vorpommerische NPD-Abgeordnete David Petereit wurde ein Heft des Neonazi-Magazins 'Der Weiße Wolf' gefunden. In Nummer 18 des Magazins aus dem Jahr 2002, ist zu lesen: "Vielen Dank an die NSU, es hat Früchte getragen". Auch ein NSU-Brief wurde gefunden. Darin heißt es: "Die Aufgaben des NSU bestehen in der energischen Bekämpfung der Feinde des deutschen Volkes."

Im Laufe des Jahres 2012 werden eine Reihe von weiteren Fällen bekannt, bei denen von Mitarbeitern der Geheimdienste brisante Akten geschreddert wurden. Die bekannt gewordenen Fälle von Aktenvernichtung fanden ausnahmslos in der Zeit nach dem Auffliegen des NSU (4. November 2011) statt und es handelte sich um Akten, die für die Aufklärung der NSU-Morde relevant waren und die Aufschluß über Kontakte zwischen NSU und Geheimdiensten hätten liefern können.

Juli 2012: Mindestens zwei der Polizei-Kollegen von Michèle Kiesewetter waren Mitglieder einer deutschen Ku-Klux-Klan-Gruppe.

August 2012: Noch mehr geschredderte Akten und gelöschte Beweismittel. Einer der Polizei-Kollegen von Michèle Kiesewetter, zeitweilig Mitglieder einer deutschen Ku-Klux-Klan-Gruppe, war am 24. April 2007 ihr Gruppenführer.

Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß am 18. März 2003 das Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte, weil das Bundesverfassungsgericht feststellen mußte, daß mindestens jedes siebte NPD-Mitglied in Leitungsfunktionen ein "Verfassungsschutz"-Agent war. Die These, die deutschen Geheimdienste hätten "versagt", ist vor dem Hintergrund all dieser Indizien zumindest voreilig.


Eine Chronologie der Morde, bei der dieselbe Waffe, eine Pistole der Marke Ceska, benutzt worden war:

9. September 2000
In Nürnberg wird der 38-jährige türkischstämmige Blumenhändler
Enver S. erschossen.

13. Juni 2001
Ebenfalls in Nürnberg wird der 49-jährige Änderungsschneider Abdurrahim Ö. ermordet.

27. Juni 2001
In Hamburg wird der 31-jährige Gemüsehändler Süleyman T. in seinem Laden ermordet.

29. August 2001
Der 38-jährige Gemüsehändler Habil K. wird in München in der Nähe eines Neonazi-Treffpunktes ermordet.

25. Februar 2004
Der 25-jährige Aushilfsverkäufer in einem Döner-Laden, Yunus T., wird in Rostock ermordet.

9. Juni 2005
In Nürnberg wird der 50-jährige Ismail Y. an seinem Döner-Stand ermordet.

15. Juni 2005
Der griechischstämmige 41-jährige Theodorus B. wird in seinem Laden, einem Schlüsseldienst in München, ermordet.

4. April 2006
In Dortmund wird in den Mittagsstunden an einer vielbefahrenen Straße der 39-jährige Kioskbesitzer Mehmet K. ermordet.

6. April 2006
In Kassel wird der 21-jährige Halit Y., der Sohn eines Internet-Café-Betreibers, an der Theke ermordet. Später stellt sich heraus, daß ein beamteter Mitarbeiter des hessischen "Verfassungsschutzes" zur Tatzeit anwesend war.

25. April 2007
In Heilbronn wird Michèle Kiesewetter, eine 22-jährige Bereitschaftspolizistin, erschossen. Ihr Kollege überlebt schwer verletzt.

Alle Opfer starben durch Schüsse in den Kopf.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      NSU und Behörden
      Schlamperei oder Beihilfe zum Terror? (4.08.12)

      Polizei und Ku-Klux-Klan
      Kollegen von Kiesewetter waren Mitglied (31.07.12)

      4. November 2011: Wer versuchte
      Beate Z. anzurufen?
      Telefon-Nummer aus dem
      Sächsische Staatsministerium des Innern (30.05.12)

      Neue Hinweise auf staatliche Beihilfe
      für Neonazi-Terrorbande (12.02.12)

      Standen staatliche Organe
      hinter der Neonazi-Terrorbande NSU? (30.01.12)

      Neonazi-Terrorbande
      Beate Z. wurde 2007 polizeilich vernommen (29.01.12)

      Neonazi-Terrorbande
      "Verfassungsschutz" war detailliert informiert (31.12.11)

      Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe:
      Kontakt im Jahr 1999 (22.12.11)

      Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe
      durch Staatsorgane (20.12.11)

      Wie kam die Neonazi-Terrorbande
      zu gefälschten Pässen? (18.12.11)

      Neonazi-Terrorbande
      Die Spur führ nach Ludwigshafen (17.12.11)

      Bericht eines US-Geheimdienstes:
      Deutsche Agenten in Mord an Polizistin verwickelt
      (30.11.11)

      Neonazi-Zelle für versuchten
      Terror-Anschlag 1997 verantwortlich?
      Viele Hinweise auf Geheimdienst-Verwicklung (20.11.11)

      Festnahme der Neonazi-Zelle 1999 gestoppt
      Befehl von "oben" (18.11.11)

      V-Mann "Kleiner Adolf"
      war in Kassel bei Mord zugegen (15.11.11)

      Neonazi-Terroristen
      Pässe vom Geheimdienst? (13.11.11)