Kartellamt schlägt zu:
Titisee-Neustadt soll Stromnetz neu ausschreiben
Titisee-Neustadt (LiZ). Obwohl das Bundeskartellamt zumindest seit 2007 über Informationen verfügt, die beweisen, daß die "Großen Vier" die Strompreise über Absprachen nach oben treiben, blieb es bis heute untätig. Um jedoch die Energie-Wende auch aktiv zu behindern, verfügte es nun einen weitreichenden Beschluß gegen Titisee-Neustadt.
Dieser Beschluß ist von bundesweiter Bedeutung, denn er richtet sich gegen die seit 2009 zu beobachtenden Bestrebungen deutscher Kommunen, die lokalen Stromnetze in Eigenregie zu betreiben (Siehe unsere Artikel weiter unten). Denn dies ist eine wichtige Voraussetzung, um die Energie-Wende vor Ort mit Hilfe von kommunalen Energiewerken durchsetzen zu können.
Bereits im Jahr 2011 hatte der Gemeinderat der Schwarzwälder Stadt Titisee-Neustadt beschlossen, das lokale Stromnetz wieder in Eigenregie zu übernehmen und die kommunale 'Energieversorgung Titisee-Neustadt' (EVTN) nach einer Ausschreibung gegenüber dem Strom-Konzern EnBW zu bevorzugen, um diese als neue Netz-Betreiberin einzusetzen. Am 1. Mai 2012 übernahm die EVTN das Stomnetz der 12.000-Einwohner-Stadt. Doch kurz darauf eröffnet das Bundeskartellamt deswegen ein Verfahren gegen die Stadt, die sich vom Ökostrom-Anbieter und EnBW-Konkurrenten EWS aus der Schwarzwaldgemeinde Schönau hatte beraten lassen. Ende Januar 2014 stellte das Bundeskartellamt - gewissermaßen als Drohung - der Stadtverwaltung von Titisee-Neustadt den Entwurf einer "Mißbrauchs-Verfügung" zu.
Der Gemeinderat von Titisee-Neustadt beschloß im Einvernehmen mit Bürgermeister Armin Hinterseh, sich dem nicht zu beugen. Gleichzeitig brachte Titisee-Neustadt eine Kommunalverfassungs-Beschwerde auf den Weg, um die Angelegenheit vom Bundesverfassungsgericht klären zu lassen. Offenherzig stellten die Schwarzwälder BürgerInnen dem Bundeskartellamt in vollem Wortlaut sämtliche Unterlagen im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Verfügung. Doch statt das Urteil des obersten deutschen Gerichts abzuwarten, mit dem in den kommenden Monaten zu rechnen ist, verfügte das Kartellamt am Donnerstag (29.01.2015), die Kommune Titisee-Neustadt müsse die Ausschreibung für die Vergabe des Netzes neu starten.
Begründet wird dies vom Kartellamt damit, daß Titisee-Neustadt bei der Vergabe "mißbräuchlich" gehandelt habe, das Auswahlverfahren sei "diskriminierend" gewesen und die Auswahl-Kriterien "unzulässig und rechtswidrig". Angestoßen wurde das Vorgehen des Kartellamts durch eine Beschwerde des früheren Netzbetreibers 'Energiedienst', einer Tochter des AKW-Betreibers und "grünen" baden-württembergischen Strom-Konzerns EnBW.
Dominik Kupfer, Anwalt der Stadt Titisee-Neustadt und Jura-Professor, erklärte, es hätte dem Bundeskartellamt besser angestanden, so lange abzuwarten, bis das Bundesverfassungsgericht über die Causa entschiedenen hätte. Das Amt habe dem "ohne Not" vorgegriffen. Das Netz werde - so Kupfer - seit drei Jahren handwerklich einwandfrei und beanstandungsfrei betrieben. Es müsse möglich sein, daß eine Kommune ihr Stromnetz in den Eigenbetrieb nehmen kann, weil sie die Versorgungssicherheit gewährleisten und sich dementsprechend Einfluß sichern möchte. Im Auftrag von Stadt und EVTN hat Kupfer sofort reagiert und beim zuständigen Oberlandesgericht Düsseldorf einen Antrag auf Aufschub des Sofortvollzugs gestellt. Damit soll die Neuausschreibung verzögert werden, bis das Bundesverfassungsgericht entscheidet.
Bei der Kommunalverfassungs-Beschwerde geh es um nicht weniger als die Frage, wie viel wert in Deutschland noch die nach Artikel 28 des Grundgesetzes garantierten kommunalen Selbstverwaltung hat - und: Kann die Energie-Wende weiterhin vor Ort realisiert werden oder müssen Kommunen durchweg dem preisgünstigeren Anbieter (große Konzerne können sich Dumping-Angebote leisten) ihr Strom-Netz überlassen?
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
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