New York (LiZ). Seit Monaten verhandeln EU-EmissärInnen mit der US-amerikanischen Regierung im Hinterzimmer über das umstrittene "Freihandelsabkommen" TTIP. Nur wenige Details der Geheim-Verhandlungen drangen nach bislang außen.
Doch das, was bekannt wurde, genügte, um eine Mehrheit der Bevölkerung zur Skepsis zu veranlassen. Unverkennbar ist, daß mit dem 'Transatlantic Trade and Investment Partnership' (TTIP) erhebliche Verschlechterungen der Umwelt-Standards, des VerbraucherInnen-Schutzes und der Sozial- und Arbeitsrechte durchgesetzt werden sollen. Besondere Sorge bereitet die Einführung sogenannter Sondergerichte, geheim tagenden Schiedsgerichten, mit deren Hilfe international agierende Konzerne im Falle von Fehlinvestitionen enorme "Entschädigungen" aus Steuermitteln erwirken könnten.
Bei einer Anhörung von Fachleuten im Bundestagsausschuß für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestages kamen einige Aspekte der in der Öffentlichkeit kursierenden Kritik am TTIP zur Sprache. So warnte etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vor einer Senkung der bisherigen EU-Standards im Umwelt- und Tierschutz. Insbesondere für die Einfuhr von genmanipulierten und hormonell behandelten Nahrungsmitteln in die EU könne das TTIP den Weg ebnen (Siehe unseren Artikel v. 13.07.13).
Peter-Tobias Stoll, Professor der Rechtswissenschaft und Inhaber des Lehrstuhls für Völker- und Europarecht am Institut für Völkerrecht und Europarecht der Universität Göttingen, kritisierte an erster Stelle, daß selbst Fachleute kaum Einblick in die TTIP-Geheim-Verhandlungen erhalten. Er forderte von der deutschen Bundesregierung mehr und bessere Informationen und verwies auf deren gesetzliche Verpflichtung, den Bundestag zu informieren. Auch Frank Schmidt-Hullmann von der Industriegewerkschaft Bau-Agrar-Umwelt (IG BAU) kritisierte das konspirative Vorgehen der Verhandlungs-Delegationen und die aktuell erkennbare Ausrichtung des geplanten TTIP.
Während die Öffentlichkeit von den Geheimverhandlungen ausgeschlossen bleibt, haben über 600 BeraterInnen von Großkonzernen privilegierten Zugang zu den Entwurfs-Dokumenten und zu den Verhandlungs-EmissärInnen - wie Lori Wallach, eine auf Handelsrecht spezialisierte Anwältin der großen US-VerbraucherInnenschutzorganisation 'Public Citizens Global Trade Watch' aufgedeckt hat. Für TTIP macht sich in Deutschland an vorderster Front die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) stark und wünscht sich den "Abbau nichttarifärer und regulatorischer Handelshemmnisse". Und als PR-Abteilung arbeitet die neoliberal ausgerichtete Bertelsmann-Stiftung im Hintergrund an der Durchsetzung des TTIP. Ebenso mischt hinter den Kulissen der Deutsche Bauernverband (DBV), die Lobby-Organisation der industriellen Landwirtschaft, mit und sieht "Chancen für den Agrarmarkt", derweil große US-Konzerne wie Monsanto die Landwirtschaft weiter industrialisieren wollen. In den USA macht besonders der US-Energie-Konzern Chevron für TTIP mobil und hat sogar einen kompletten Beitrag zum Verhandlungsteil "Investitionsschutz" geliefert.
Offenbar zielt das TTIP einseitig darauf ab, die Interessen international agierender Konzerne über die der Mehrheit der Bevölkerung zu stellen und demokratische Entscheidungen auszuhebeln. Mehr noch als heute - die Fälle, in denen LobbyistInnen direkten Einfluß auf die deutsche Gesetzgebung genommen haben, häuften sich in den vergangenen Jahren - sollen mit Hilfe von TTIP-Regelungen ganze Abteilungen von Konzern-ExpertInnen frühzeitig auf die Gesetzgebung in den Parlamenten Einfluß nehmen können. Und mit dem Instrument der nicht-öffentlich tagenden Schiedsgerichte würde das TTIP dafür sorgen, daß in Zukunft keine Umweltschutz- oder Sozialgesetze in Europa mehr verschärft werden können - denn jede Verschärfung führt zu Profit-Einbußen und damit zu Entschädigungs-Forderungen.
Worte und Taten des "roten" Koalitionspartner in Berlin klaffen beim TTIP erkennbar auseinander. Auf der einen Seite postulierte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel "Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen" und erklärte diese zu einer "Schlüsselfrage für das Zustandekommen des Freihandelsabkommens". Anscheinend selbstkritisch sagte Gabriel etwa am 24. März öffentlich in Berlin: "Das Freihandelsabkommen leidet an mangelnder Transparenz und der fehlenden Bereitschaft der USA, offenzulegen, über was überhaupt verhandelt wird. Dies hat dazu geführt, dass alle möglichen Geheimnisse, Sorgen und Mystifizierungen in der Öffentlichkeit herumschwirren." Auf der anderen Seite ist jedoch offensichtlich, daß Gabriel weiterhin die TTIP-Geheim-Verhandlungen deckt. Mit diesem widersprüchlichen Verhalten geriet Gabriel nun allerdings zunehmend in die Defensive und so schrieb er kürzlich in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten: "Wir alle sollten Interesse an einer breiten und offenen Debatte über dieses wichtige Thema haben."
Wenn PolitikerInnen nicht aktiv werden wollen, sondern lediglich Aktivität vorzutäuschen gedenken, greifen sie gerne zu dem althergebrachten Trick, eine Kommission einzusetzen. Und so setzte Gabriel nun einen Beirat zur "Beratung des transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP)" ein. Dieser hat sich am Mittwoch, 4. Juli, zu seiner ersten Sitzung getroffen. Damit werden nun auch die KritikerInnen in die TTIP-Beratungen eingebunden.
Das Gremium sorge für mehr Transparenz, erklärte Gabriel - und stärke so das Vertrauen in die TTIP-Verhandlungen. Zum Beirat gehören: IG-Metall-Chef Detlef Wetzel, Edda Müller von der Anti-Korruptions-Organisation Transparency, Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentralen und Hubert Weiger, Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) - und ebenso: Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Anton F. Börner, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) und Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV).
"Die Verhandlungen zum Freihandels-Abkommen müssten schnell abgeschlossen werden," drängte der pseudo-sozialistische französische Präsident François Hollande bei einem Treffen mit Obama im Februar 2014. Andernfalls drohe das Abkommen am öffentlichen Druck zu scheitern. Hollande befürchtet zudem, daß noch mehr TTIP-KritikerInnen in der französischen Nationalversammlung aufbegehren.
Vor dem Hintergrund der Enthüllungen um die flächendeckende NSA-Bespitzelung, forderten KritikerInnen ein Aussetzen der Verhandlungen. TTIP unter den aktuellen Bedingungen zu verhandeln sei ebenso töricht, wie an einem Pokerspiel teilzunehmen, bei dem die andere Seite die eigenen Karten kennt. Der Ausverkauf Europas sei so vorprogrammiert. Zumindest so lange der US-amerikanische Geheimdienst NSA in Europa weiter ungestört spionieren dürfe, seien die TTIP-Verhandlungen auszusetzen.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
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