Berlin (LiZ). Das Bundesamt für "Verfassungsschutz" mußte jetzt einräumen, bereits seit 2005 im Besitz einer DVD zu sein, die Hinweise auf die Neonazi-Terror-Bande NSU enthält. Mitglieder des Innenausschusses des Bundestages zeigten sich empört, daß der Geheimdienst dies bislang nicht preisgegeben hatte.
Ein weiterer Mosaikstein ist aufgetaucht, der die These erhärtet, daß amtliche Stellen - möglicherweise abgeschottete Teile der deutschen Geheimdienste - schon vor dem 4. November 2011 von der Existenz der Neonazi-Terror-Bande NSU wußten oder diese sogar von Anfang an steuerten. Seit 2005 war das Bundesamt für "Verfassungsschutz" im Besitz einer DVD mit dem "NSU"-Kürzel. Es heißt nun, niemand habe davon gewußt. Wahrscheinlicher jedoch ist, daß die DVD im Zuge der "Aufräum"-Aktionen nach dem 4. November 2011 übersehen worden war und nur versehentlich nicht vernichtet wurde. Wie inzwischen bekannt ist, wurden in jenen Wochen nach dem 4. November ganze Aktenberge geschreddert.
Nun soll ein Sachverständiger den Fall des ehemaligen V-Manns "Corelli" untersuchen. "Corelli" - alias Thomas Richter - hatte dem Bundesamt für "Verfassungsschutz" mit Sitz in Köln laut vorliegenden Informationen seit 1997 als V-Mann gedient und über viele Jahre hin CDs und DVDs aus dem rechtsextremistischen Spektrum geliefert. Nach einer Aussage des neuen "Verfassungsschutz"-Präsidenten Hans-Georg Maaßen habe seine Behörde allerdings erst im März 2014 Kenntnis von der brisanten DVD genommen, als ein anderer V-Mann dem Hamburger Landesamt für "Verfassungsschutz" eine Kopie des Datenträgers übergeben habe. Die brisante DVD soll also nicht nur von 2005 bis November 2011, sondern weitere 27 Monate unbeachtet in einer Schublade in Köln Staub angesetzt haben.
Wenige Tage später, Anfang April 2014 - der genaue Zeitpunkt wird geheimgehalten - war der 39-jährige "Corelli" laut Aussagen des Bundesamtes für "Verfassungsschutz" in seiner Wohnung in einer Stadt in Nordrhein-Westfalen tot aufgefunden worden. Als Ursache für den mysteriösen Tod "Corellis" wurde eine zuvor nicht erkannte Diabetes-Erkrankung genannt - laut Geheimdienst-Aussagen liegen keine Hinweise auf eine "Fremdeinwirkung" vor.
Thomas Richter - alias "Corelli" - war auch Mitglied der Neo-Nazi-Gruppe 'European White Knights of the Ku Klux Klan', eines Ablegers des rassistischen Geheimbundes aus den USA. Bekannt ist, daß jene Gruppe eine ihrer traditionellen Zeremonien mit brennendem Holzkreuz in der Burgruine von Schwäbisch Hall vollzog. Zu dieser Gruppe gehörten zeitweilig auch Kollegen und ein Zugführer der von der Neonazi-Terror-Bande NSU am 25. April 2007 ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter.
Und Thomas Richter war auch an dem Nazi-Fanzine 'Der weiße Wolf' beteiligt, in dem in Ausgabe 18 des Jahres 2002 im Vorwort zu lesen war: "Vielen Dank an den NSU." In den Jahren 2000 und 2001 hatten schon vier der dem NSU zur Last gelegten Morde stattgefunden.
Weniger als ein halbes Jahr vor dem Tod "Corellis" war bereits ein anderer wichtiger Zeuge, der Aussagen über die Hintergründe der Neonazi-Terror-Bande NSU machen wollte, unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen. Er verbrannte am 16. September 2013 in seinem Auto. Dieses explodierte am morgen desselben Tages, an dem er einen Termin beim Landeskriminalamt in Stuttgart hatte, um eine Aussage über Verbindungen der Neonazi-Terror-Bande NSU mit der baden-württembergischen Neo-Nazi-Szene zu machen (Siehe unseren Artikel v. 12.10.13).
Doch ein Unikat war die in den Asservaten des Bundesamtes für "Verfassungsschutz" - angeblich bis März 2014 - schlummernden DVD keinesfalls. Offenbar waren Duplikate in Umlauf. Denn Ende 2013 veröffentlichte ein Nutzer eines Forums der Internetplattform www.politikforen.net Inhalte dieses Machwerks. Doch auch in diesem Fall scheinen die deutschen Geheimdienste ihre Ohren auf Durchzug gestellt zu haben.
Und so kommt mittlerweile selbst der CDU-Politiker Clemens Binninger, Bundestagsabgeordneter aus Böblingen und Berichterstatter der Unions-Bundestagsfraktion im Innenausschuß für Terrorbekämpfung u.a., zu dem Schluß: "Die Erzählung, daß der Begriff NSU nie einem größeren Kreis von Personen bekannt war, läßt sich angesichts von immer mehr Hinweisen nicht mehr halten."
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Thüringer NSU-Ausschuß
Neo-Nazi-Verbindungen im Fall Kiesewetter (10.03.14)
Fahndung nach Neo-Nazi-Terror-Bande
im Juni 2003 abgeblockt
"Kriegen Sie da nichts raus!" (10.12.13)
NSU-Zeuge im Auto verbrannt
Wurde Florian Heilig ermordet? (12.10.13)
Gehörten V-Leute zu NSU?
Geheime Liste mit 129 Personen (24.03.13)
Brisante NSU-Listen mit Kontakt-Daten
15 Jahre lang verschwunden (1.03.13)
Experte Hajo Funke:
NSU bestand aus mehr als 3 Personen (25.01.13)
NSU und Behörden
Schlamperei oder Beihilfe zum Terror? (4.08.12)
Polizei und Ku-Klux-Klan
Kollegen von Kiesewetter waren Mitglied (31.07.12)
4. November 2011: Wer versuchte
Beate Z. anzurufen?
Telefon-Nummer aus dem
Sächsische Staatsministerium des Innern (30.05.12)
Neue Hinweise auf staatliche Beihilfe
für Neonazi-Terrorbande (12.02.12)
Standen staatliche Organe
hinter der Neonazi-Terrorbande NSU? (30.01.12)
Neonazi-Terrorbande
Beate Z. wurde 2007 polizeilich vernommen (29.01.12)
Neonazi-Terrorbande
"Verfassungsschutz" war detailliert informiert (31.12.11)
Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe:
Kontakt im Jahr 1999 (22.12.11)
Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe
durch Staatsorgane (20.12.11)
Wie kam die Neonazi-Terrorbande
zu gefälschten Pässen? (18.12.11)
Neonazi-Terrorbande
Die Spur führ nach Ludwigshafen (17.12.11)
Bericht eines US-Geheimdienstes:
Deutsche Agenten in Mord an Polizistin verwickelt
(30.11.11)
Neonazi-Zelle für versuchten
Terror-Anschlag 1997 verantwortlich?
Viele Hinweise auf Geheimdienst-Verwicklung (20.11.11)
Festnahme der Neonazi-Zelle 1999 gestoppt
Befehl von "oben" (18.11.11)
V-Mann "Kleiner Adolf"
war in Kassel bei Mord zugegen (15.11.11)
Neonazi-Terroristen
Pässe vom Geheimdienst? (13.11.11)
