eGesundheitskarte: 900 Millionen Euro
wurden bereits verpulvert
Berlin (LiZ). Mehr als 2 Millionen der insgesamt 70 Millionen gesetzlich Versicherten boykottieren die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Seit elf Jahren wird für sie geworben. Rund 900 Millionen Euro wurden bereits für ein System ausgegeben, das niemals sicher sein kann.
Laut der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sind es sogar sechs Millionen Versicherte, bei denen die neue eGesundheitskarte mit dem Foto noch nicht angekommen sei. Dies wären fast zehn Prozent, während das Kartell der mit der Einführung betrauten Firmen T-Systems, arvato Systems und Compugroup Medical die Zwischenbilanz ausgibt, 97 Prozent der 70 Millionen gesetzlich Versicherten hätten die eGesundheitskarte bereits. Eine unabhängige Überprüfung der Zahlen ist jedoch nicht möglich.
Da weder die Parteien-Politik in Berlin noch die sie lenkende Industrie, die letztlich an einem florierenden Handel mit den Krankheits-Daten der Versicherten interessiert ist, einzulenken bereit sind, ist absehbar, daß dieses Projekt zu einem Milliardengrab wird. Schon jetzt schieben sich ÄrztInnen-Verbände und Krankenkassen gegenseitig den "Schwarzen Peter" zu, wer denn am Scheitern schuld sein wird.
Auch wenn gegenüber den Versicherten lange Zeit so getan wurde, als unterscheide sich die neue eGesundheitskarte von der herkömmlichen nur durch das Foto: Entscheidend ist nicht dieses, sondern der Chip der neuen eGesundheitskarte, auf dem sensible Daten der Versicherten abgespeichert werden sollen. Und dieser Chip eröffnet die Möglichkeit, in Zukunft ohne wirksame Daten-Sicherheit zentral auf die Krankheits-Daten von 70 Millionen Versicherten zugreifen zu können.
Angeblich soll es - so wird mittlerweile verlautbart - erst ab 2018 "medizinisch sinnvolle Anwendungen" der eGesundheitskarte geben. Genannt werden etwa die Speicherung von Vorerkrankungen oder die Übermittlung von Fall-Akten. Auch sollen die Versicherten beruhigt werden, indem ihnen zugesichert wird, die neuen Funktionen der eGesundheitskarte würden erst nach ihrer ausdrücklichen Erlaubnis aktiviert. Doch ist ein solches System erst einmal aufgebaut, gibt es auch Mittel und Wege, unwillige Versicherte unter Druck zu setzen, damit sie der elektronischen Speicherung ihrer Krankheits-Daten und deren elektronischer "Übermittlung" zuzustimmen.
Bereits auf dem jetzigen Ausbau-Stand der elektronischen Verarbeitung von Versicherten-Daten ist das Mißbrauchs-Potential enorm. Im August 2013 wurde etwa bekannt, daß das Apothekenrechenzentrum VSA offenbar unzureichend verschlüsselte Daten von deutschen PatientInnen in die USA verkauft hatte. Und der belieferte US-Konzern IMS Health verfolgt nach eigenen Angaben die Krankheiten von 42 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland. Er verdient hieran sehr gut, denn er verkauft die heißen Daten wiederum an Pharma-Unternehmen weltweit (Siehe unseren Artikel v. 18.08.13).
Doch der ganz große Deal scheint - Dank der Verweigerung von Millionen Versicherten - nicht realisierbar zu ein. Christian Zahn vom Verwaltungsrat des Kassenverbands etwa meint frustriert: "Wenn die Hemmnisse so weitergehen, wird daraus nichts." Auch unter den ÄrtztInnen gibt es großen Widerstand - hauptsächlich allerdings nur deshalb, weil ihnen die Hauptlast beim Einpflegen und Aktualisieren der Krankheits-Daten aufgebürdet werden soll. So wurde auf dem ÄrtztInnen-Tag im Mai ein Antrag nur mit wenigen Stimmen Mehrheit abgelehnt, der vorsah, die Bundesärztekammer solle sich sich ganz aus dem Projekt zurückziehen. Es wurden zwei Lesungen im "ÄrtztInnen-Parlament" nötig, da der Antrag zunächst nur mit 106 zu 104 Stimmen abgelehnt worden war. Erst in der zweiten Lesung lautete das Ergebnis 118 zu 112 Stimmen.
Die entscheidende Schwachstelle des Systems verbirgt sich in der Art der Übermittlung elektronisch gespeicherter Krankheits-Daten. Die Kommunikation von Computer zu Computer soll über Server laufen, die "als sicher gelten". Daß effektive Sicherheit bei solch heiklen Daten und dem enormen finanziellen Interesse, das sie wecken, nicht zu realisieren ist, darf spätestens seit den Snowden-Enthüllungen als allgemein bekannt vorausgesetzt werden.
Nun heißt es von offizieller Seite - nachdem Generalbundesanwalt Harald Range trotz angeblich 9-monatiger Prüfung keine Ermittlungen wegen der flächendeckenden Bespitzelung der deutschen Bevölkerung durch die NSA aufzunehmen gedenkt - die Sorgen um die Sicherheit seien gewachsen. Welche Konsequenzen dies haben soll, bleibt allerdings nebulös. Und obwohl der Nutzen obsolet ist, sind die gewaltigen Kosten schon jetzt absehbar: Die Plastik-Kärtchen samt den eingeschweißten Chips sollen 2017 ausgetauscht werden, weil nur so der bislang benützte Sicherheitsschlüssel erneuert werden könne - Kostenpunkt: mindestens hundert Millionen Euro. Spätestens dann wird die Gesamtsumme an verpulverten Geldern eine Milliarde Euro überschreiten. Der entstehende Müllberg an Plastikkärtchen läßt sich exakter vorausberechnen.
Um den wirksamen Boykott einer offenbar genügend großen Zahl von Versicherten zu brechen, fordern die Krankenkassen nun von der Bundesregierung, diese müsse alsbald wirksame Fristen zur Einführung der eGesundheitskarte setzen. Denn obwohl seit Anfang Oktober vergangenen Jahres im Wochentakt als Nachrichten getarnte Panikmache von den Mainstream-Medien verbreitet wurde, wonach ab dem 1. Januar 2014 Kranke nur mehr bei Vorlage der neuen eGesundheitskarte behandelt und versorgt werden dürften, ließen sich offenbar Millionen Versicherte nicht einschüchtern.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Snowden-Fundus:
BND arbeitet der NSA illegal zu (15.06.14)
Gesichtserkennung 'Tundra Freeze'
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Pulitzerpreis für Snowden-Enthüllungen
an Guardian und Washington Post (14.04.14)
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GCHQ schnüffelt in Millionen privater Webcams (27.02.14)
Snowden-Fundus:
NSA bespitzelt Wikileaks
Julian Assange auf Todesliste (18.02.14)
Snowden-Fundus:
NSA bespitzelte US-Anwaltskanzlei (16.02.14)
CCC erstattet Anzeige gegen Bundesregierung
wegen NSA-Schnüffelei (3.02.14)
Trojaner in japanischem AKW
Schneller Brüter Monju befallen (17.01.14)
Yahoo! Malware hilft NutzerInnen auszuspähen
...und alles gratis! (5.01.14)
Geheim-Akte aus Snowden-Fundus:
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Geheim-Akte aus Snowden-Fundus:
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(29.12.13)
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Kampf gegen Geheimdienste (28.12.13)
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