NSU-Zeugin tot
Jetzt sind es drei
Karlsruhe (LiZ). Nach dem Tod der NSU-Zeugen Florian Heilig am 16.09.13 und Thomas Richter im März 2014 kam nun eine weitere Person unter dubiosen Umständen ums Leben: Die 20-jährige Melisa Marijanovic hatte vermutlich Kenntnisse vom Hintergrund der NSU-Terror-Bande und mußte deshalb sterben.
Erst vor kurzem hatte die 20-Jährige, eine Ex-Freundin von Florian Heilig, vor dem NSU-Untersuchungsausschuß gesagt, sie werde bedroht. Doch ebenso wenig wie Florian Heilig wurde sie geschützt. Über parlamentarische Untersuchungsausschüsse läßt sich die alte Volksweisheit, daß die eine Krähe der anderen kein Auge aushackt und daher keine Fakten herauskommen, mittlerweile ergänzen: Keine Fakten, aber Tote. Denn wer vor einem Ausschuß erkennen läßt, über brisantes Wissen zu verfügen, setzt offenbar sein Leben aufs Spiel.
Polizei und Staatsanwaltschaft teilten am Sonntag in Karlsruhe mit, Melisa Marijanovic sei von ihrem Lebensgefährten am Samstagabend mit einem Krampfanfall in ihrer Wohnung in Kraichtal im Kreis Karlsruhe gefunden worden. Die Ärzte hätten das Leben der jungen Frau aber nicht mehr retten können. Bislang gebe es keinen Anhaltspunkt für ein Fremdverschulden, so das offizielle Statement. Wegen des "brisanten Hintergrundes" würden aber die Ermittlungen nun mit Nachdruck betrieben.
Die Behörden haben mittlerweile das Ergebnis einer angeblichen vorläufigen Obduktion veröffentlicht: Marijanovic sei an einer Lungenembolie gestorben. Dies paßt jedoch in keinster Weise mit den Informationen über einen Krampfanfall zusammen. Eine Lungenembolie löst akute Atemnot aus, aber keine Krämpfe.
Laut Staatsanwaltschaft hatte Melisa Marijanovic am vergangenen Dienstag, 24. März, bei einem Motocross-Training mit dem Motorrad ihres Lebensgefährten einen leichten Unfall. Dabei sei sie zu Fall gekommen und habe sich eine Prellung im Knie zugezogen. Diese Information paßt zwar zur Diagnose einer Lungenembolie. Dennoch ist eine solche Komplikation bei einer 20-Jährigen äußerst selten, zumal sie bei der ärztlichen Versorgung am Dienstag und Donnerstag eine Thromboseversorgung erhielt. Immerhin hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am späten Sonntag abend nach weitere Analysen angeordnet. Es werde nun untersucht, ob eine Vergiftung vorliege.
Marijanovic hatte Anfang März vor dem NSU-Untersuchungsausschuß in Stuttgart in nicht-öffentlicher Sitzung ausgesagt, weil sie erklärt hatte, sie fühle sich bedroht. Der Ausschuß soll angeblich - nach monatelangem skandalösen Hin und Her - aufklären, wie es möglich war, daß die NSU-Terror-Bande von 1998 bis 2011 im Geheimen agieren konnte, ohne gefaßt zu werden. Die Rede ist jedoch nach wie vor von einem "Versagen der Behörden" und trotz eines Berges von Indizien wird nicht einmal die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß diese Terror-Bande aus staatlichen Strukturen heraus unterstützt und gedeckt wurde.
Der Extremismus-Experte und Berliner Politik-Professor Hajo Funke, der den NSU-Untersuchungsausschuß verfolgt und Vertrauensperson der Familie von Florian Heilig ist, zeigte sich schockiert über den Tod der 20-Jährigen. "Die Sicherheitsbehörden sind gut beraten, wenn sie diesem Tod durch Obduktion und intensivster Aufklärung nachgehen," sagte er am Sonntag abend.
Der 21-jährige Florian Heilig war am 16. September 2013 in seinem Auto in Stuttgart - Bad Cannstatt am Rande des Cannstatter Wasen in seinem Auto verbrannt. Für 17 Uhr des selben Tages hatte er einen Termin beim Landeskriminalamt in Stuttgart, um eine Aussage über Verbindungen der Neonazi-Terror-Bande NSU mit der baden-württembergischen Neo-Nazi-Szene machen (Siehe unseren Artikel v. 12.10.13).
Auch der NSU-Zeuge Thomas Richter alias Corelli sollte zu den Hintergründen der NSU-Terror-Bande befragt werden. Nach Polizeiangaben wurde er Ende März 2014 tot in seiner Wohnung gefunden. Auch in diesem Fall wurde eine Todesursache angegeben, die recht unwahrscheinlich ist: eine nicht erkannte Diabetes.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
NSU-DVD von 2005 aufgetaucht
Geheimdienste angeblich ahnungslos (1.10.14)
Thüringer NSU-Ausschuß
Neo-Nazi-Verbindungen im Fall Kiesewetter (10.03.14)
Fahndung nach Neo-Nazi-Terror-Bande
im Juni 2003 abgeblockt
"Kriegen Sie da nichts raus!" (10.12.13)
NSU-Zeuge im Auto verbrannt
Wurde Florian Heilig ermordet? (12.10.13)
Gehörten V-Leute zu NSU?
Geheime Liste mit 129 Personen (24.03.13)
Brisante NSU-Listen mit Kontakt-Daten
15 Jahre lang verschwunden (1.03.13)
Experte Hajo Funke:
NSU bestand aus mehr als 3 Personen (25.01.13)
NSU und Behörden
Schlamperei oder Beihilfe zum Terror? (4.08.12)
Polizei und Ku-Klux-Klan
Kollegen von Kiesewetter waren Mitglied (31.07.12)
4. November 2011: Wer versuchte
Beate Z. anzurufen?
Telefon-Nummer aus dem
Sächsische Staatsministerium des Innern (30.05.12)
Neue Hinweise auf staatliche Beihilfe
für Neonazi-Terrorbande (12.02.12)
Standen staatliche Organe
hinter der Neonazi-Terrorbande NSU? (30.01.12)
Neonazi-Terrorbande
Beate Z. wurde 2007 polizeilich vernommen (29.01.12)
Neonazi-Terrorbande
"Verfassungsschutz" war detailliert informiert (31.12.11)
Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe:
Kontakt im Jahr 1999 (22.12.11)
Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe
durch Staatsorgane (20.12.11)
Wie kam die Neonazi-Terrorbande
zu gefälschten Pässen? (18.12.11)
Neonazi-Terrorbande
Die Spur führ nach Ludwigshafen (17.12.11)
Bericht eines US-Geheimdienstes:
Deutsche Agenten in Mord an Polizistin verwickelt
(30.11.11)
Neonazi-Zelle für versuchten
Terror-Anschlag 1997 verantwortlich?
Viele Hinweise auf Geheimdienst-Verwicklung (20.11.11)
Festnahme der Neonazi-Zelle 1999 gestoppt
Befehl von "oben" (18.11.11)
V-Mann "Kleiner Adolf"
war in Kassel bei Mord zugegen (15.11.11)
Neonazi-Terroristen
Pässe vom Geheimdienst? (13.11.11)