Nitrat im Grundwasser
EU verklagt Deutschland
Brüssel (LiZ). Das Grundwasser in Deutschland ist infolge des Einsatzes von Düngemitteln durch die industrielle Landwirtschaft massiv mit Nitrat belastet. Da in der Vergangenheit weder "rot-grüne", noch "schwarz-gelbe" oder "schwarz-rote" Bundesregierungen hiergegen etwas unternahmen, klagt nun die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland.
Am gestrigen Donnerstag bemerkte die EU-Kommission in Brüssel, daß die deutsche Bundesregierung keine Maßnahmen zum Schutz der Gewässer ergriffen hat und damit gegen geltendes Recht verstößt. Daher ist nunmehr eine Klage unumgänglich.
Nitrat fördert das Pflanzenwachstum und wird als Düngemittel eingesetzt. Allerdings ist Nitrat auch in der Gülle aus Massentierhaltung enthalten und wird zum Problem, wenn mehr Vieh pro Fläche gehalten wird und damit mehr Nitrat anfällt, als die darauf wachsenden Pflanzen aufnehmen können.
In überhöhten Mengen wird Nitrat - eine chemische Verbindung aus Stickstoff und Sauerstoff - zu einer Gefahr für Mensch und Umwelt. Konzentrationen von über 20 Milligramm pro Liter müssen nach heutigem wissenschaftlichem Kenntnisstand als für Säuglinge und Schwangere schädlich eingestuft werden. Der aktuelle Grenzwert für NO₃ in Trinkwasser liegt laut der deutschen Trinkwasserverordnung bei 50 Milligramm pro Liter - nach der Schweizer Gewässerschutzverordnung bei 25 Milligramm pro Liter.
Greenpeace zufolge beträgt die Nitrat-Konzentration im Grundwasser an einigen Stellen Deutschlands über 100 Milligramm pro Liter. Im nordrhein-westfälischen Echtelerfeld wurde sogar ein Wert von 385 Milligramm gemessen.
Nicht nur im Grundwasser wird Nitrat zum Problem. Vor zu hohen Werten in Flüssen und Seen warnt nun sogar die EU-Kommission. Die Nitrat-Belastung fördert das Wachstum von Algen. Die Wasserpflanzen ersticken bei übermäßigem Wachstum anderes Leben und verschlechtern die Wasserqualität (Siehe hierzu etwa auch unseren Artikel v. 29.07.11). Auch in vielen Kläranlagen wird Nitrat zum Problem – die Betreiber müssen das Wasser wieder aufbereiten.
"Die Gülle der industriellen Tierhaltung ist hauptsächlich für die Verschmutzung der Gewässer verantwortlich," erläutert Christian Rehmer, Agrar-Experte des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Die Klage der EU-Kommission sei eine "schallenden Ohrfeige" für Bundeslandwirtschafts-Minister Christian Schmidt. Das Ministerium "müsse" nun endlich handeln und die betreffende Verordnung verschärfen, hofft Rehmer.
Die Kritikpunkte der EU-Kommission würden "auf Missverständnissen beruhen", erklärte dagegen Bundes-Atom- und "Umwelt"-Ministerin Barbara Hendricks. Die Bundesregierung arbeite bereits an einer Änderung der so genannten Dünge-Verordnung, die in Deutschland das zentrale Instrument zur Umsetzung der Nitrat-Richtlinie sei (Siehe hierzu auch unseren Artikel v. 24.10.14).
Bereits im Juli vergangen Jahres hatte die EU-Kommission die Bundesregierung aufgefordert, gegen die Verunreinigung vorzugehen. Trotz der wachsenden Nitrat-Belastung habe "Deutschland" aber keine hinreichenden Zusatzmaßnahmen getroffen, stellte die Kommission nun fest.
Nachweislich verursacht die industrielle Landwirtschaft durch Überdüngung jährliche Kosten von rund 25 Milliarden Euro für die Sicherung sauberen Trinkwassers. Diese externen Kosten der industriellen Landwirtschaft tragen laut der Kritik der Umweltverbände derzeit nicht die VerursacherInnen, sondern die VerbraucherInnen. Hinzu kämen Millionen Euro an Strafzahlungen an die EU, wenn Bund und Länder weiterhin gegen die europäischen Vorgaben für den Wasserschutz verstoßen sollten.
Durch offene - teils über den Umweg des EU-Haushalts - und verdeckte Subventionen erhält die industrielle Landwirtschaft weitaus mehr Geld als die Bio-Landwirtschaft. Es handelt sich auf dem Gebiet der Agrar-Wende um dieselbe Art politischer Sabotage wie auch bei der Energie-Wende, wo nach wie vor in Deutschland die Verstromung von Kohle mit jährlich 13 Milliarden Euro und die Atomenergie mit jährlich 9 Milliarden Euro subventioniert werden. Die erneuerbaren Energien erhalten dagegen über das EEG nur einen Bruchteil dieser Mittel. Gut drei Viertel der BundesbürgerInnen wünschen sich laut aktuellen Umfragen eine stärkere staatliche Förderung der erneuerbaren Energien. Im Bereich der Bio-Lebensmittel war in Deutschland im Jahr 2015 ein Absatz-Plus von 11,1 Prozent zu verzeichnen, während die Anbaufläche der Bio-Landwirtschaft nahezu stagniert. Immer mehr Bio-Lebensmittel müssen daher aus dem Ausland importiert werden.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Deutschlands Meeresschutz am Ende?
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(22.02.16)
Radioaktivität im Wasser
unter dem AKW Indian Point (6.02.16)
Giftiges Trinkwasser in US-Stadt Flint
seit März 2014 (18.01.16)
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nach Vorbild des Klima-Gipfels von Paris (21.12.15)
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Fischsterben in der Elbe (24.07.14)
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Bundesregierung untätig (17.06.14)
Europas Flüsse stärker mit Chemie belastet
als bislang angenommen (16.06.14)
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Nitrat-Belastung im deutschen Grundwasser
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