1.07.2013

Atom-Müll bleibt ungesichert in Jülich
"Rot-Grün" mitverantwortlich

Brennstoffkugel für gasmoderierten Atom-Reaktor
Berlin (LiZ). Quasi in letzter Minute hat am Freitag die "schwarz-rot-gelb-grüne" Blockflöten-Koalition im Bundestag einen Passus in das sogenannte Endlager-Such-Gesetz eingebaut, wodurch der Export von Atom-Müll aus Forschungszentren erlaubt wird. Damit ist theoretisch der Weg frei, 152 CASTOR-Behälter, die sich derzeit illegal in einem risikobehafteten Zwischenlager in Jülich befinden, in die USA zu verschieben.

Doch vorerst bleiben die 152 CASTOR-Behälter in einem Zwischenlager, das gegen einen Flugzeugabsturz oder einen Terror-Angriff mit panzerbrechenden Waffen nicht ausreichend geschützt ist. In den vergangenen drei Jahren war in NRW darüber diskutiert worden, in Jülich ein neues Zwischenlager zu bauen, so daß Sicherheitsanforderungen wenigstens halbwegs hätten erfüllt werden können. Der Bau hätte mindestens 40 Millionen Euro gekostet. Dies wurde aber offenbar nicht ernsthaft verfolgt und stattdessen setzten die "Verantwortlichen" auf zwei Alternativen: Zum einen wurde versucht, den Atom-Müll ins Zwischenlager Ahaus zu verschieben - vergeblich, wegen massiver Proteste der Bevölkerung. Zum anderen hoffen die "Verantwortlichen", eine Zustimmung aus den USA zu erhalten, den Atom-Müll dorthin zu transportieren. Doch auch in den USA gibt es kein Endlager und die Lagerung des für Millionen Jahre hochradioaktiven Mülls ist weltweit nach wie vor ungelöst. Die Bürgerinitiativen vor Ort legen seit Jahren den Finger in die offene Wunde und erinnern daran, daß in Jülich Atom-Müll produziert wurde, ohne zu wissen, wo dieser dereinst sicher gelagert werden könnte. Auch sei es ethisch verwerflich, den Atom-Müll "Menschen in anderen Ländern vor die Tür zu kippen", weil die sogenannten Verantwortlichen keinen Ausweg wissen.

Über 290.000 kugelförmige Brennelemente sind das Erbe des Forschungs-Reaktors Jülich (AVR), der zur Entwicklung des gasmoderierten Hochtemperatur-Reaktors (THTR Hamm-Uentrop) dienen sollte. Der AVR wurde mit kugelförmigen Brennelementen betrieben. Die tennisball-großen Kugeln bestehen aus Graphit-Keramik, in deren Innerem sich der Kernbrennstoff in etwa 20.000 kleinen Kügelchen befindet. Diese Partikel bestehen unter anderem aus Uran und Thorium. Die abgebrannten Kugeln sind daher hoch radioaktiv und für den Menschen gefährlich.

Im Forschungs-Reaktor Jülich war es am 13. Mai 1978 zu einer Beinahe-Katastrophe gekommen, weil infolge eines längere Zeit unbemerkten Lecks im Überhitzerteil des Dampferzeugers 27,5 Tonnen Wasser in den Helium-Primärkreislauf und damit in den Reaktorkern gelangten. Nach 21 Betriebsjahren wurde der Reaktor am 31. Dezember 1988 abgeschaltet. Nachdem im Jahr 1989 der THTR Hamm-Uentrop wegen ausufernder Entwicklungskosten nach nur 14 Monaten von Problemen begleitetem Volllastbetrieb stillgelegt wurde, maß auch die deutsche Atom-Lobby dieser Reaktor-Linie keine Zukunfts-Chance mehr bei.

Auch der angekündigte "vollständige Rückbau" des Hochtemperaturreaktor auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich bereitet immer mehr Schwierigkeiten. Seit mittlerweile 25 Jahren wird versucht, ein Problem zu lösen, an das vor dem Bau des AVR offenbar kein Gedanke verschwendet worden war. Im Jahr 2010 hatte die damalige "schwarz-rote" Bundesregierung erklärt, der 2000 Tonnen schwere und 26 Meter hohe AVR-Reaktorbehälter solle 2011 herausgehoben und in ein eigens dafür gebautes Zwischenlager auf dem Gelände des Forschungszentrums transportiert werden. Zuletzt war vorgesehen, den radioaktiv verstrahlten Reaktorbehälter im Jahr 2013 aus der stillgelegten Anlage herauszuziehen. Doch nun räumt das Bundesforschungsministerium massive Probleme ein. Die Dokumentation der Anlage aus den 1960er-Jahren gebe die Betonstrukturen nicht "zutreffend wieder". Dies betreffe insbesondere die "Kontaminationen einzelner Bauteile" in den Hohlräumen von Betonstrukturen. Da eine "Gefährdung der eigenen Abbaumannschaft so weit wie möglich" ausgeschlossen werden müsse, komme es zu einem erhöhten Demontageaufwand. Nun soll der Reaktorbehälter erst in der zweiten Hälfte 2014 geborgen werden.

Zu den bisher aufgelaufenen Kosten von weit über 600 Millionen Euro kommen jeden Monat, den sich der Rückbau verzögert, weitere 1,3 Millionen Euro hinzu. Dabei handelt es sich vor allem um Personalkosten für das 120-köpfige Abbruch-Team. Mittlerweile wachsen die Zweifel, ob die genannten Gründe für die Verzögerungen zutreffen und nicht vielleicht vorgeschoben werden. Fragen wurden laut, ob etwa das Rückbaukonzept als gescheitert angesehen werden muß.

Über zwei Jahrzehnte hin war also auch bekannt, daß es für die über 290.000 hochradioaktiven Brennelemente-Kugeln in 152 CASTOR-Behältern keine adäquate Lagermöglichkeit gibt und daß die Genehmigung für das völlig unzureichende Zwischenlager auf dem Gelände des heutigen Forschungszentrums (FZ) am 30. Juni 2013 ablaufen wird. Ab heute ist die Lagerung in der Halle in Jülich illegal, auch wenn die "rot-grüne" NRW-Landesregierung unter Hannelore Kraft einen juristischen Trick fand, den Zustand mit Hilfe einer ministeriellen Anordnung zu verlängern. Am Freitag, 28. Juni, griff das NRW-Wirtschaftsministerium in seiner Funktion als atomrechtliche Aufsichtsbehörde auf § 19 des Atomgesetzes zurück. Das "verantwortliche" Ministerium ließ am selben Tag verlautbaren, es handele sich um eine "Übergangslösung" und nicht etwa um eine "Notfallregelung" - wie in der lokalen Presse zu lesen war. In der Bevölkerung solle nicht der Eindruck entstehen, es gebe im Zusammenhang mit dem atomaren Müll einen bedrohlichen Notfall, sagte Ministeriumssprecher Matthias Kietzmann. Es gehe nur um eine etwas andere rechtliche Grundlage. Ansonsten bleibe alles wie bisher. Die Lagerung von hochradioaktivem Atommüll ohne gültige Genehmigung und allein auf der Grundlage einer ministeriellen Anordnung ist ein in Deutschland bislang einmaliger Vorgang.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Verlängert "Rot-Grün" die illegale Lagerung
      von Atom-Müll in Jülich? (25.06.13)

      Gericht verwirft Genehmigung
      für Zwischenlager am AKW Brunsbüttel
      Endlager-Such-Gesetz obsolet
      Stop aller 9 Atom-Reaktoren in Deutschland? (19.06.13)

      Atom-Müll aus KFZ Jülich
      - ab 1. Juli illegal im Zwischenlager (23.05.13)

      Hamburg: Katastrophe nur
      knapp abgewendet (16.05.13)

      Atom-Müll aus KFZ Jülich
      soll in die USA (2.02.13)

      Atommüll-Zug in Südfrankreich entgleist
      Ziel möglicherweise Deutschland (22.01.13)

      "Schwarz-Gelb" schafft Grundlage für Atommüll-Export
      AtomkraftgegnerInnen kritisieren Dammbruch (4.01.13)

      Französische Regierung will Kernfusions-Reaktor
      15 Prozent mehr EU-Finanzmittel für Atomenergie
      (15.11.12)

      Forschungs-Reaktor Jülich
      Wohin mit dem Atom-Müll? (14.11.12)

      Bau-Stop in Gorleben
      Bürgerinitiative feiert Sensation (13.11.12)

      Greenpeace protestiert auf der Weser
      gegen Plutonium-Transport (24.09.12)

      Stilllegung des AKW Fessenheim
      Ende 2016? (21.09.12)

      Erneuter "Störfall" im AKW Fessenheim
      Gab es Verletzte? (5.09.12)

      Greenpeace fordert Stilllegung des AKW Cattenom
      Kritik an Stress-Tests (23.08.12)

      General Electric: Atomenergie zu teuer
      Das Ende des Atomenergie-Zeitalters (30.07.12)

      Gorleben: Atomarer Irrweg wird fortgesetzt
      Weitere CASTOR-Transporte angekündigt (7.06.12)

      Greenpeace-Aktivist landet
      auf Atomkraftwerk (2.05.12)

      Feuer im AKW Fessenheim
      Stilllegungung weiterhin ungewiß (25.04.12)

      65.000 für Atom-Ausstieg
      bei Internationaler Menschenkette im Rhônetal (11.03.12)

      Reaktor II des AKW Fessenheim
      wieder am Netz (7.03.12)

      Atomkraftwerke
      Kernschmelz-Risiko unterschätzt (1.03.12)

      Schaden im AKW Cattenom
      19 Tage lang verharmlost (6.02.12)

      25.000 bei Anti-Atom-Protesten in Frankreich
      Peinlicher Auftritt einer Präsidentschaftskandidatin
      (16.10.11)

      Nuklear-Nomade im AKW Fessenheim verstrahlt
      Krebs bei 1.600 Euro im Monat? (23.09.11)

      Brücken-Aktion am Rhein
      Forderung nach sofortiger Stilllegung
      des AKW Fessenheim (18.09.11)

      Explosion in Nuklear-Anlage Marcoule
      Ein Toter (12.09.11)

      Witz der Woche
      Der gleiche strenge Stress-Test... (10.08.11)

      AKW Fessenheim
      bekommt Persilschein (6.07.11)

      AKW Mühleberg abgeschaltet
      Schwere Vorwürfe gegen Schweizer Atom-Aufsicht ENSI
      (4.07.11)

      Menschenkette am AKW Fessenheim
      Für sofortige Stilllegung (27.06.11)

      Anne Lauvergeon, eine der härtesten
      Atomkraft-Kämpferinnen tritt ab (18.06.11)

      Studie: AKW Fessenheim nicht ausreichend
      gegen Dammbruch gesichert (14.06.11)

      "Panne" im AKW Fessenheim
      fünf Tage verspätet bekanntgegeben
      Radioaktivität ausgetreten (7.04.11)

      Brennelemente-Kugeln aus Jülich verschwunden
      Zusammenhang mit GKSS-Unfall? (3.04.11)

      Sarkozy und die Atombombe
      für Gaddafi (23.02.11)

      Reihe schwerer Sicherheitsmängel
      in französischen AKW (22.02.11)

      Erhöhtes Risiko im AKW Fessenheim
      20 Prozent Meßungenauigkeit bei Druck-Sensor (4.02.11)

      Schrott-AKW Tricastin
      ASN verlängert Laufzeit um 10 Jahre (6.12.10)

      AKW Flamanville
      Dach eingestürzt (5.12.10)

      AKW Fessenheim: Kurzschluß
      Automatische Abschaltung von Block I (20.10.10)

      Radioaktives Cäsium im Kanal
      beim AKW Fessenheim (14.10.10)

      Radioaktive Wolke aus AKW Fessenheim
      erst nach über einem Monat publik (26.09.10)

      Rheinerwärmung durch AKW Fessenheim
      Gastbeitrag von Axel Mayer (16.07.10)

      Brand im AKW Fessenheim
      Keine Nachricht in deutschen Mainstream-Medien
      (15.07.10)

      Frankreich: Laufzeitverlängerung auf 40 Jahre
      kostet 600 Millionen Euro pro Reaktor
      AKW Fessenheim bis 2017? (27.06.10)

      "Störung" im AKW Fessenheim
      im Dezember gravierender als bislang bekannt
      (23.02.10)

      Verbrecherische Menschenversuche
      bei französischen Atombomben-Tests (17.02.10)

      "Störung" im AKW Fessenheim
      Reaktor konnte nicht hochgefahren werden (27.12.09)

      Atomenergie verursacht Stromlücke
      in Frankreich (18.12.09)

      Notabschaltung im französischen AKW Cruas
      Hauptkühlsystem verstopft (2.12.09)

      Streit um die neue Atomkraftwerks-Linie EPR
      in Frankreich / Sicherheitsbehörden kritisieren
      elektronisches Steuerungs-System (3.11.09)

      AKW Fessenheim undicht
      13.000 Liter Diesel-Öl versickerten im Boden (29.10.09)

      Unverantwortlicher Umgang mit dem hochgiftigen
      Bombenstoff Plutonium (15.10.09)

      EU: Siemens an Kartell beteiligt
      Straffreiheit wegen Kooperation (7.10.09)

      Demo gegen Atomkraft
      mit 10.000 TeilnehmerInnen in Colmar
      Massive Behinderungen durch Polizei (4.10.09)

      Ende des finnischen AKW-Neubaus Olkiluoto?
      Areva droht mit Baustop (1.09.09)

      Der Rhein wird aufgeheizt
      AKW Fessenheim mit maßgeblichem Beitrag (30.06.09)

      Terrorziel Atomkraftwerk
      TV-Magazin 'Frontal21' veröffentlicht Geheimbericht
      (17.06.09)

      Erdbeben der Stärke 4,5 bei Steinen
      AKW Fessenheim nach wie vor unsicher (5.05.09)

      Euratom,
      Milliarden-Subventionen und die Bombe (22.04.09)

      IAEA: AKW Fessenheim
      entspricht nicht internationalen Standards (8.04.09)

      Greenpeace in Frankreich bespitzelt
      Kam der Auftrag von EdF? (1.04.09)

      AKW Fessenheim undicht
      Reaktor seit Samstag abgeschaltet (6.03.09)

      Siemens steigt bei Areva aus
      Ist das Atomkraftwerk-Modell EPR am Ende? (27.01.09)

      Renaissance der Atomenergie?
      Wo in aller Welt? (7.01.09)

      AKW Fessenheim für weitere Jahrzehnte?
      Versprecher oder Insider-Wissen? (4.12.08)

      Frankreichs Verbrechen auf Moruroa
      188 Atom-Bomben und die Folgen (29.09.08)

      EdF schluckt British Energy
      Wirtschaftliche Konzentration nimmt zu (24.09.08)

      Ein Leuchtturm
      mit waffenfähigem Uran (9.09.08)

      Prestigeobjekt als Rohrkrepierer
      Fortlaufende Pannen beim Bau
      des neuen EPR-Atomkraftwerks in Flamanville (27.08.08)

      Erneut Atom-Unfall in Frankreich
      100 Menschen radioaktiv kontaminiert (24.07.08)

      Erneut Atom-Unfall in Frankreich
      15 Menschen radioaktiv kontaminiert (22.07.08)

      Französische Atom-Industrie bleibt im Gespräch
      Erneute Leckage (18.07.08)

      Nach Unfall beim AKW Tricastin
      Überprüfung des Grundwassers bei französischen AKW
      (17.07.08)

      AKW Tricastin:
      Flüsse in Südfrankreich radioaktiv kontaminiert (8.07.08)

      1,5 Milliarden Zusatzkosten beim EPR-Atomkraftwerk
      Siemens blamiert sich
      mit "Vorzeige-Kraftwerk" Olkiluoto (30.03.08)

      Neues EPR-Atomkraftwerk
      kann durch Flugzeug-Attacke zerstört werden (26.03.08)

      AKW Fessenheim: Block 2 abgeschaltet
      Leck im Primärkreislauf (20.02.08)

      Erneut Leiharbeiter im AKW Fessenheim verstrahlt
      (27.11.07)

      DR Kongo: 18 Tonnen radioaktives Material
      im Mura-Fluß abgekippt
      Uran aus der Atombomben-Mine Shinkolobwe (7.11.07)

      AKW Fessenheim: Arbeiter
      vor vier Tagen "leicht verstrahlt"
      Informationen dürftig und zeitverzögert (27.10.07)

      Laufzeit AKW Fessenheim bis 2017?
      100-Millionen-Euro-Investition (3.10.07)

      Störfall im AKW Fessenheim verschwiegen
      Laut 'TV Südbaden' bereits Anfang August (31.08.07)

      Zwei Irre und die A-Bombe
      Sarkozy offeriert Gaddafi AKW als Eintritt in den Club
      (27.07.07)

      AKW Fessenheim mit schlechten Noten
      49 "Störfälle" im Jahr 2006
      Französische Atomaufsicht unzufrieden (5.07.07)

      AKW Fessenheim: 30 Jahre tödliche Gefahr (7.03.07)

      Der Anschlag auf Greenpeace
      Französischer Geheimdienst tötete 1985 einen Menschen
      beim Versenken der 'Rainbow Warrior'

      Der siamesische Zwilling: Atombombe
      Folge 4 der Info-Serie Atomenergie

      Atomenergie in Frankreich
      Folge 11 der Info-Serie Atomenergie