Stuttgart (LiZ). Wie angekündigt hat die "grün-rote" Koalition in Baden-Württemberg heute mit Hilfe einer Abstimmung im Landtag den Weg zu einer Volksabstimmung über das Mega-Projekt 'Stuttgart 21' frei gemacht. Wegen undemokratischer Fußangeln in der Verfassung des Süd-West-Bundeslandes ist es jedoch möglich, daß die Volksabstimmung trotz einer Mehrheit gegen 'Stuttgart 21' scheitert.
Mit Hilfe des Tricks, einen Gesetzentwurf zur Kündigung der Finanzierungsverträge für 'Stuttgart 21' scheitern zu lassen - erwartungsgemäß stimmten "S"PD, "C"DU und "F"DP dagegen - , ist der Weg nun frei für einen Volksentscheid. Dieser ist für den 27. November geplant. Entscheidend wird aber vermutlich sein, daß das undemokratische Quorum nicht erreicht werden kann. Laut baden-württembergischer Verfassung müßte mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten - rund 2,5 Millionen Menschen - gegen das Projekt stimmen, um es zum Scheitern zu bringen. Dies würde eine hohe Wahlbeteiligung bei der Volksabstimmung voraussetzen.
Es ist also durchaus möglich, daß etwa 2 Millionen gegen 'Stuttgart 21' stimmen, nur 1,5 Millionen dafür und daß dann dennoch gebaut wird. Der pseudo-grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat für diesen Fall bereits vorgebaut. So sagte er im März gegenüber der 'taz': "Der Gedanke erfüllt mich mit Grausen, daß wir ein Projekt selber realisieren müssen, von dessen Unsinnigkeit wir seit 15 Jahren überzeugt sind. Aber auch das gehört im Zweifel zur direkten Demokratie dazu." Und als er vor kurzem darauf angesprochen wurde, daß die Chancen für die Projekt-Gegnerinnen angesichts des 33-Prozent-Quorums verschwindend gering seien, antwortete Kretschmann süffisant, er hoffe eben auf ein Wunder. Und Koalitionspartner und "S"PD-Vorsitzender Nils Schmid ergänzte, der 27. November werde ein "großer Tag" für Baden-Württemberg: "Wir wagen mehr Demokratie." Daß er sich dabei zugleich über den früheren Bundeskanzler Willy Brandt lustig machte, wird ihm wohl gar nicht bewußt gewesen sein. Nils Schmid ist ein Befürworter von 'Stuttgart 21'.
Zur Verwirrung beim Volksentscheid wird - wie schon so oft zuvor in vergleichbaren Fällen - beitragen, daß mit "Ja" abstimmen muß, wer gegen 'Stuttgart 21' ist und umgekehrt. Die wenig sinnige Frage, die am 27. November den baden-württembergischen Wahlberechtigten vorgelegt werden soll, lautet: "Stimmen Sie der Gesetzesvorlage – Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21– zu?"
Neue Argumente wurden gestern im Landtag von Baden-Württemberg nicht verhandelt. Offensichtlich interessierte es niemanden, daß vor wenigen Tagen RichterInnen und AnwältInnen des Arbeitskreises 'Juristen zu Stuttgart 21' bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen die Bahn AG gestellt haben. Es geht um "besonders schweren Betrug." Die JuristInnen argumentieren, Bahn-Chef Rüdiger Grube habe dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart Informationen über die ausufernde Kosten des Mega-Projekts vorenthalten (siehe unseren Bericht vom 22. September).
Ebenso wenig interessierte es die Partei-PolitikerInnen in Stuttgart, daß seit Juni Fakten bekannt sind, die einen sofortigen Bau-Stop durch die Landesregierung rechtfertigen würden. Selbst die Bahn AG hatte eingeräumt, daß die Angaben, auf denen ein Planfeststellungsbeschluß basiert, falsch sind. Die Angaben zum abzupumpenden Grundwasser in einem Volumen von von 3 Millionen Kubikmeter im Planfeststellungsbeschluß PFA1.1 sind viel zu niedrig. Tatsächlich muß mehr als die doppelte Menge Grundwasser, nämlich 6,8 Millionen Kubikmeter für die Bautätigkeiten abgepumpt werden.
Dies müßte nach Ansicht der kritischen IngenieurInnen eigentlich juristische und praktische Konsequenzen haben: "Zunächst erlischt damit das Baurecht der Bahn, denn es basiert auf Annahmen, die inzwischen als unzutreffend erkannt sind." Einen entsprechenden Änderungsantrag hatte die Bahn zwar beim Eisenbahnbundesamt (EBA) eingereicht. Die Beurteilung wurde aber von der Stadt Stuttgart als zuständiger unterer Wasserbehörde zurückgewiesen. Es fehlten detaillierte Unterlagen zu den Auswirkungen auf die Grundwasser-Verteilung und die Schüttung der Heil- und Mineralquellen sowie auf den Baumbestand im Park und auf die Stadtgebäude (Erdsetzungen infolge absinkenden Grundwasserstandes). Wenn nun erheblich mehr Wasser abgepumpt werden muß als ursprünglich vorgesehen, müsse das Risiko für die Mineralquellen neu bewertet werden, so die KritikerInnen. Aber eine solche Neuberechnung würde Monate in Anspruch nehmen - und deshalb wird sie unterlassen.
Bei allem berechtigten Unbehagen besteht dennoch kein Grund, die Volksabstimmung zu boykottieren. Auch ein Mißerfolg der Projekt-GegnerInnen bei hoher Beteiligung kann aus der Volksabstimmung keine demokratische Legitimation für den Weiterbau an 'Stuttgart 21' machen. Und sollte das Quorum wider alle Erwartungen erfüllt und das Projekt verhindert werden, überwöge dieser Erfolg bei weitem den möglichen Prestigegewinn, den die Pseudo-Grünen damit erzielen könnten.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Stuttgart 21:
JuristInnenvereinigung stellt Strafanzeige (22.09.11)
Stuttgart 21:
"Stress-Test" bestanden (21.07.11)
Spiegel über interne Bahn-Unterlagen:
Kosten von Stuttgart 21 geschönt (3.07.11)
"Volksversammlung" zu Stuttgart 21
auf dem Markplatz
Minister Hermann ausgepfiffen (23.06.11)
Stuttgart 21
BUND stellt Eilantrag auf Bau-Stop (18.06.11)
IngenieurInnen: Weiterbau an Stuttgart 21
ist rechtswidrig (9.06.11)
"Stuttgart 21": Die Show
des neuen Verkehrsministers Winfried Hermann
(12.05.11)
Bau-Stop selber machen
Aktions-Camp gegen "Stuttgart 21" (17.04.11)
Landtagswahl
Recycling in Baden-Württemberg (27.03.11)
Stuttgart 21
"Schlichterspruch" ad absurdum geführt
Stresstest einseitig aufgekündigt (8.02.11)
Stuttgart 21 - Schlichtung
oder schlicht Volksverdummung? (1.12.10)
Stuttgart 21 - MONITOR bestätigt Verdacht gegen Mappus
Direktive kam von oben (22.11.10)
stern: Erneut Millionenschwindel bei Stuttgart 21
"Schlichtung ist Verdummung" (17.11.10)
Stuttgart 21: Lug und Trug
Landesbeteiligung verfassungswidrig
"Käfer und Kammmolche" (16.11.10)
Stuttgart 21 - Neue Bäume
im gerodeten Teil des Schloßgartens (31.10.10)
Die Polizei: Dein Freund ...
... und Steinewerfer (18.10.10)
Stuttgart 21
Verrat der Funktionäre (15.10.10)
110.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
Merkel warnt vor "Unregierbarkeit" (9.10.10)
100.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
"Mappus muß weg!" (2.10.10)
Stuttgart 21 - "Mappus läuft Amok"
Hunderte Verletzte im Stuttgarter Schloßgarten
(30.09.10)
Stuttgart 21
Stern enthüllt Chaos-Planung (29.09.10)
Weiter Zehntausende gegen Stuttgart 21
30 Festnahmen nach Demo (25.09.10)
69.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
Bahn-Chef Grube schließt höhere Kosten
für das Mega-Projekt nicht mehr aus (11.09.10)
Stuttgart 21: Polizei beendet Baumbesetzung
"S"PD plötzlich für Volksentscheid (7.09.10)
Stuttgart 21
Spaltungsversuch der Pseudo-Grünen gescheitert
(6.09.10)
60.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
Baumbesetzung im Schloßgarten (3.09.10)
Forsa-Umfrage: Absolute Mehrheit gegen Stuttgart 21
Pseudo-Grüne versuchen Widerstand zu spalten
865 Millionen Euro neue Kosten für Ba-Wü (2.09.10)
Stuttgart 21 - 40.000 protestieren
Erster Durchbruch am Bauzaun gescheitert (27.08.10)
Stuttgart 21 - Abriß begonnen
Hilft nur noch Bauplatzbesetzung? (25.08.10)
30.000 protestieren:
"Stoppt Stuttgart 21" (21.08.10)
Millionen-Schmiergeld für Stuttgart 21?
'spiegel' berichtet über heimlichen Deal (16.08.10)
21.000 bei Menschenkette
gegen Stuttgart 21 (14.08.10)
Studie des Umweltbundesamtes
Stuttgart 21 provoziert Nadelöhr (12.08.10)
Immer mehr Menschen protestieren
16.000 gegen Stuttgart 21 (7.08.10)
Wachsender Protest gegen "Stuttgart 21"
Tausende legen Verkehr lahm (2.08.10)
Protestival der Parkschützer
Zehntausende gegen "Stuttgart 21" (10.07.10)
'stern' veröffentlicht geheime Studie
zu "Stuttgart 21"
Steilvorlage für GegnerInnen (8.07.10)
Europäische Nachbarn bauen Eisenbahn aus
In Deutschland wird das Schienennetz abgebaut
(29.04.10)
Verkehrssicherheit
Bahn weit vor Konkurrenten (30.03.10)
'Robin-Wood'-Aktion gegen "Stuttgart 21"
"Stuttgart verscherzt es sich - Zug um Zug" (2.02.10)
Investitionen in Schienenverkehr:
BRD ist ganz hinten in der EU (23.10.09)