Berlin (LiZ). Wie in den vergangenen fünf Jahren gingen LandwirtInnen, ImkerInnen, VerbraucherInnen und Umwelt-SchützerInnen gemeinsam in Berlin für eine Agrar-Wende auf die Straße. Deutschland hinkt seit Jahren immer mehr im europäischen Vergleich hinterher: Nur 6,3 Prozent der Agrarfläche werden hierzulande mit kontrolliert biologischem Anbau bewirtschaftet.
Die deutsche Bundesregierung subventioniert seit vielen Jahren unverändert - ob "Rot-Grün" (1998 bis 2005), "Schwarz-Rot" (2005 bis 2009 und erneut seit 2013) oder "Schwarz-Gelb" (2009 bis 2013) - die Agro-Industrie, insbesondere Groß-Agrarier wie etwa die Südzucker AG und die Massentierhaltung in Niedersachsen und den neuen Bundesländern. Die Biolandwirtschaft erhält im Vergleich hierzu Brosamen und verzeichnet in den meisten europäischen Ländern höhere Zuwächse als in Deutschland.
Hierzulande muß Jahr für Jahr ein größerer Teil der Bio-Lebensmittel aus dem europäischen Ausland importiert werden. Zugleich weiten sich in der Ostsee die Todeszonen infolge der Nitrat- und Phosphat-Einträge aus der industriellen Landwirtschaft immer mehr aus. Jan Plagge, Präsident des Anbau-Verbandes Bioland e.V., fordert, 2015 müsse endlich die Trendwende für mehr heimisches Bio eingeleitet werden. "Der Verbraucher will heimisches Bio, daher muß die Politik jetzt die Bremse lösen," so Plagge. Derzeit kommen beispielsweise nur 1,5 Prozent der angeblich für Agrar-Forschung aufgewendeten Steuergelder der Biolandwirtschaft zugute - 98,5 Prozent wandern in die Taschen der industriellen Landwirtschaft.
Wie in den vorangegangenen Jahren nutzte die "Wir-haben-es-satt!"-Demo den Auftakt der "Grünen Woche" in Berlin. Dies trifft anscheinend einen Nerv, denn der Präsident des Deutschen "Bauern"-Verbandes (DBV), Joachim Rukwied, schimpfte anläßlich der Eröffnung der 80. internationalen "Leistungs"-Schau gegen die Angriffe aus den Reihen der "Wir-haben-es-satt-Proteste": Diese seien "unanständig". Nach eigenen Angaben ist die "Internationale Grüne Woche" die "weltweit größte Ernährungsmesse".
45.000 Menschen demonstrierten heute in Berlin unter dem Motto "Wir haben es satt!" für eine Agrar-Wende in Deutschland. Über 80 Organisationen riefen zu der Demo auf - darunter die Anbau-Verbände Bioland, Demeter und Naturland, die Umweltschutz-Organisationen BUND und NaBu sowie 'Brot für die Welt', Misereor und Oxfam. Gefordert wurde auch, die Bundesregierung solle das EU-USA-Handelsabkommen TTIP absagen, Land und Lebensmittel endlich wirksam vor der Gentechnik schützen und den weiteren Ausbau von "Mega-Ställen" in Deutschland stoppen. Der Demonstrations-Zug startete am Potsdamer Platz und wurde von einem Fahrzeug-Konvoi mit mehr als 90 Traktoren angeführt - direkt vorbei am Berliner Messegelände, wo die "Grüne Woche" gerade eröffnet wurde.
Bürgerinitiativen - vor allem in Niedersachsen - haben in den vergangenen Jahren immerhin mit Hilfe des neuen Baugesetzes mehr als 100 "Mega-Ställe" verhindert. Ein großflächiger Durchbruch der Gentechnik konnte durch das Engagement einer breiten Bewegung in Deutschland bislang verhindert werden. Doch nach wie vor darf etwa Gen-Soja in Deutschland bei der Tiermast eingesetzt und an Milch-Kühe verfüttert werden und die so hergestellten Produkte wie Gen-Milch und Gen-Käse sind nicht gekennzeichnet.
Gerade das TTIP-Abkommen zielt darauf ab, die Dämme gegen Gentechnik in Europa zu brechen. "Das EU-USA-Handelsabkommen TTIP dient einseitig global agierenden Konzernen und wird vielen bäuerlichen Betrieben hier und weltweit die Existenzgrundlage entziehen. Gleichzeitig drohen die Verbraucherstandards gesenkt zu werden," sagte Jochen Fritz, Sprecher des "Wir-haben-es-satt!"-Bündnisses. "Das heißt mehr Gentechnik im Trog und Hormonfleisch durch die Hintertür. Deswegen fordern wir von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, TTIP zu stoppen!"
Die Agrar-Politik der Bundesregierung wurde von den VeranstalterInnen scharf kritisiert. Sie habe dazu beigetragen, daß beispielsweise seit dem Jahr 2000 mehr als Dreiviertel der Schweine-HalterInnen aufgegeben haben. Zugleich haben Fleisch-Konzerne zunehmend die Tierhaltung übernommen. Obwohl in Deutschland um 20 Prozent mehr Fleisch produziert wird als hierzulande verkauft werden kann, werden weiter "Mega-Ställe" für den Billig-Fleisch-Export ins Ausland genehmigt. Zugleich profitieren Fleisch-Konzerne und Handelsketten davon, daß die Agrar-Industrie die Produktions- und die Umweltkosten der Allgemeinheit aufbürdet.
Seltsamer Weise redeten auch Manche von "Erfolgen" und nannten als Beispiel die Ankündigung von Agrar-Minister Christian Schmidt, gegen den "überhöhten Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung" vorzugehen. Dieser eröffnete derweil die "Grüne Woche" und rief die DemonstrantInnen dazu auf, aus ihrer "Ecke der Selbstgewissheit" herauszukommen.
Tatsächlich ist die industrielle Landwirtschaft weiter auf dem Vormarsch. Wenige globale Konzerne wie Monsanto, Syngenta, DowChemical und BASF untergraben die Saatgut-Vielfalt und treiben die Ausbreitung der Gentechnik auf den Äckern weltweit voran. Investoren bauen immer neue industrielle "Mega-Ställe", in denen Tiere unter qualvollen Bedingungen leiden. Die Mächtigen dieser Welt planen auf dem G7-Gipfel und durch die Freihandelsabkommen TTIP und CETA die globale Industrialisierung der Landwirtschaft. Die Folgen sind allgegenwärtig: Immer mehr LandwirtInnen müssen - hier und in den Ländern des Südens - ihre Höfe aufgeben. Billig-Fleisch überschwemmt die Märkte. Der Anbau von Monokulturen verdrängt den Regenwald. Ackerland wird zum Spekulationsobjekt. Und: Der weltweite Hunger ist nach wie vor Fakt.
Anmerkungen
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