16.01.2016

20.000 in Berlin
gegen industrielle Landwirtschaft

Wir haben es satt! - 2016 - Plakat-Motiv
Berlin (LiZ). Rund 20.000 LandwirtInnen, ImkerInnen, VerbraucherInnen und Umwelt-SchützerInnen gingen heute gemeinsam in Berlin für eine Agrar-Wende auf die Straße - weniger als ein Viertel der TeilnehmerInnen der "Wir-haben-es-satt"-Demo des vergangenen Jahres. Im Vergleich zum Stand von vor zwölf Monaten stagnierte der Anteil der Agrarfläche, der in Deutschland von Bio-LandwirtInnen bewirtschaftet wird, bei 6,3 Prozent.

Zum sechsten Mal seit 2011 fand in Berlin - quasi als Gegen-Demonstration zur "Grünen Woche" der industriellen Landwirtschaft - die "Wir-haben-es-satt"-Demo statt. Von Seiten der Agro-Industrie wurde - erstmals - eine klägliche "Gegen-Demo" mit rund 500 TeilnehmerInnen organisiert, die unter dem Motto "Wir machen Euch satt!" zu suggerieren versuchten, sie hätten Gegen-Argumente. Tatsächlich produziert die globale Landwirtschaft nach offiziellen Statistiken mehr als doppelt so viel Nahrungsmittel, wie zur Versorgung der Menschheit ausreichen würde. Zugleich verhungerte auf diesem Planeten auch im Jahr 2015 alle fünf Sekunden ein Kind. Offensichtlich dient die Produktion der industriellen Landwirtschaft nicht der Versorgung mit Nahrungsmitteln, sondern dem Profit.

Kerstin Lanje, Agrar-Expertin von Misereor, erläuterte dies heute in ihrer Rede auf der "Wir-haben-es-satt"-Demo in Berlin: "In Burkina Faso unterbieten Milch-Exporte aus Europa den heimischen Milchpreis mittlerweile um über 60 Prozent. Diese Politik verursacht Armut und Hunger. Deswegen müssen wir die Exporte zu Dumping-Preisen in Länder des globalen Südens, die die Lebensgrundlage der Bauern vor Ort zerstören, sofort stoppen. Gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern fordern wir politische Rahmenbedingungen zur Beendigung der Überproduktion und Export-Orientierung bei Fleisch und Milch in Europa!"

Die Landwirtschaft in Deutschland, in Europa und den anderen industrialisierten Staaten steht am Scheideweg. Seit 1975 ist die Zahl der Bauernhöfe in Deutschland von über einer Million auf 285.000 Betriebe gesunken - ein deutliches Zeichen des durch das Profit-Prinzip erzwungenen "Wachsen oder Weichen". Das weltweit am meisten genutzte Pestizid - Glyphosat des Gentech- und Chemie-Konzerns Monsanto - wurde von der Weltgesundheitsorganisation WHO kürzlich als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Die Zahl der Insekten und Vögel geht in Deutschland rapide zurück. Die industrielle Landwirtschaft trägt weltweit mit einem Ausstoß von rund einem Drittel der Klimagase massiv zu den menschengemachten und zunehmend katastrophalen Klima-Veränderungen bei. Der Export von Milchpulver und Fleisch zu Dumping-Preisen zerstört lokale Märkte im globalen Süden. Die extrem niedrigen Milch- und Schweinefleisch-Preise beschleunigen das Höfe-Sterben in Deutschland. Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA gefährden die Bio-Landwirtschaft. Agrar-Fabriken mit 57.000 Schweinen, 2.000 Kühen oder 450.000 Hühnern sind in Deutschland genehmigt worden. Zugleich wird die Bio-Landwirtschaft - auch in "rot-grün"-regierten Bundesländern - weiterhin massiv sabotiert. Trotz stark steigender Nachfrage an Bio-Lebensmitteln nimmt die Fläche der Bio-Höfe in Deutschland nicht zu. Landraub durch Groß-InvestorInnen entzieht Bäuerinnen und Bauern die Lebensgrundlage. Der Druck nimmt weiterhin zu, auch in Europa den Verkauf genmanipulierte Nahrungsmittel und den Anbau von Gen-Pflanzen auszuweiten.

Die deutsche Bundesregierung subventioniert seit vielen Jahren unverändert - ob "Rot-Grün" (1998 bis 2005), "Schwarz-Rot" (2005 bis 2009 und erneut seit 2013) oder "Schwarz-Gelb" (2009 bis 2013) - die Agro-Industrie und die Massentierhaltung - auch im "rot-grün" regierten Niedersachsen. Die Bio-Landwirtschaft erhält im Vergleich hierzu Brosamen und verzeichnet in den meisten europäischen Ländern höhere Zuwächse als in Deutschland. Die Ungleichbehandlung ist eine versteckte Form von Sabotage. Hinzu kommt die verdeckte Subventionierung mit Hilfe der sogenannten Agrar-Forschung: Nur 1,5 Prozent der angeblich für Agrar-Forschung aufgewendeten Steuergelder kommen der Bio-Landwirtschaft zugute - 98,5 Prozent wandern in die Taschen der industriellen Landwirtschaft.

Während die "Wir-haben-es-satt"-Demo des vergangenen Jahres von 90 Treckern begleitet wurde, waren es heute rund 130. Doch die Zahl der TeilnehmerInnen war im Vergleich zu 2015 (Siehe unseren Artikel v. 17.01.15 um über die Hälfte geschrumpft. Das Organisations-Bündnis der Demo aus über 100 Organisationen und Verbänden - von BUND, campact, Deutschem Tierschutzbund, Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) über Anbau-Verbände wie Bioland und Demeter, kirchliche Organisationen wie Misereor und 'Brot für die Welt' bis hin zu attac - muß sich der Frage stellen, ob es mit jährlich wiederkehrenden Demos die potentiellen TeilnehmerInnen überfordert und so einen wichtigen Protest zu Tode reitet. Eine mögliche politische Wirkung verpufft, wenn sich Jahr für Jahr weniger Menschen beteiligen. Zudem droht die Gefahr einer Abwärts-Spirale und in der Folge eine Demoralisierung der TeilnehmerInnen. Unbestreitbar ist ein Argument der "Wir-machen-Euch-satt!"-DemonstrantInnen nicht ganz von der Hand zu weisen: "Nur die wenigsten LandwirtInnen haben Zeit, mit dem Traktor nach Berlin zu fahren." (Das Zeit-Argument trifft allerdings ebenso auf die TeilnehmerInnen an der "Grünen Woche zu.)

Und wenn mehrere wichtige Demo-Termin im Jahr nach Berlin rufen, dürfte klar sein, daß sich die Kreise potentieller TeilnehmerInnen zu großen Teilen überschneiden. Die Gesamtzahl an TeilnehmerInnen ist auch dann nicht beliebig zu steigern, wenn - wie im Falle der Anti-TTIP-Demo am 10. Oktober 2015 - 600 Bussen und fünf Sonderzügen organisiert werden.

Ein weiterer Grund für die auf rund 20.000 zurückgegangene Zahl (laut VeranstalterInnen: 23.000 / laut Polizei: 13.500) ist den Äußerungen vieler TeilnehmerInnen in Berlin zu entnehmen. Manche brachten ihren Unmut lautstark zum Ausdruck und kritisierten, daß sich pseudo-grüne PolitikerInnen wie Renate Künast, Bärbel Höhn, Anton Hofreiter und Simone Peter an prominenter Stelle positionieren durften. Nicht vergessen ist das Agieren von Künast als Bundesministerin in den Jahren 2001 bis 2005 und von Höhn als NRW-Landesministerin und daß deren Taten in krassem Widerspruch zu ihren Reden und Versprechungen vor Wahlen standen. Offensichtlich jedoch hat sich in den Führungszirkeln so mancher Verbände noch nicht herumgesprochen, daß immer mehr Menschen von Demos wegbleiben, die von heuchlerischen PolitikerInnen dominiert werden.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Ausrottung der Vögel in Deutschland
      macht Fortschritte (30.10.15)

      Bienensterben, Pestizide und Gen-Mais
      US-Regierung unterdrückt Forschung (29.10.15)

      Pestizid-Fraß im US-Kongress
      Cafeteria serviert Neonicotinoide (8.08.15)

      Wachsender Widerstand in Ghana
      gegen "Monsanto-Gesetz" (1.06.15)

      March against Monsanto
      Hunderttausende demonstrieren weltweit (26.05.15)

      EU-Kommission pusht Gen-Technik
      19 genmanipulierte Pflanzen zugelassen (24.04.15)

      Pestizide für Bienensterben ursächlich
      Industrielle Landwirtschaft zerstört Lebensgrundlagen
      (5.03.15)

      Vorreiter der Umweltzerstörung
      Bericht der Europäischen Umweltagentur (5.03.15)

      Wald-AIDS 2014
      Zustand zwischen Leben und Tod (11.02.15)

      Industrielle Landwirtschaft
      rottet Hamster aus (10.02.15)

      "Wir haben es satt!"
      45.000 für eine Agrar-Wende (17.01.15)

      Zweiter Planet im Kofferraum?
      Bodenatlas 2015 wenig hoffnungsvoll (8.01.15)

      Industrielle Landwirtschaft gefährdet Grundwasser
      Strenge Düngeverordnung gefordert (24.10.14)

      Industrielle Landwirtschaft tötet
      Fischsterben in der Elbe (24.07.14)

      Warnung vor Gentech-Landwirtschaft
      wegen steigendem Pestizideinsatz (26.06.14)

      Todeszonen der Ostsee weiten sich aus
      Bundesregierung untätig (17.06.14)

      Europas Flüsse stärker mit Chemie belastet
      als bislang angenommen (16.06.14)

      Industrielle Landwirtschaft treibt
      Klimakatastrophe voran (17.04.14)

      Bienensterben international
      Industrielle Landwirtschaft untergräbt Lebensgrundlagen
      (7.04.14)

      Wald-AIDS 2014
      Zustand schlechter - nicht besser (10.03.14)

      Agrar-Wende - Erneuern sich
      die Pseudo-Grünen von unten? (27.01.14)

      Das Aussterben der Bienen kann
      plötzlich und ohne Vorwarnung kommen (6.01.14)

      Honig darf verunreinigt werden
      Bundesverwaltungsgericht läßt Gen-Kontamination zu
      (25.10.13)

      Nitrat-Belastung im deutschen Grundwasser
      verschlechtert sich dramatisch (19.10.13)

      Flächenfraß
      Täglich 74 Hektar mehr Siedlungs- und Verkehrsfläche
      (13.10.13)

      Agrar-Subventionen
      BUND fordert Neuausrichtung (28.08.13)

      Jugend mag Bio
      23 Prozent kaufen häufig Bio-Lebensmittel (20.08.13)

      VGH-Urteil: Natürliches Mineralwasser
      darf Pestizide enthalten (2.08.13)

      Chemie in Obst und Gemüse
      Nur Bio-Lebensmittel unbelastet (17.06.13)

      Phosphat-Dünger
      Industrielle Landwirtschaft ohne Zukunft (7.05.13)

      Bio-Lebensmittel: Die Produktion in Deutschland
      hinkt der Nachfrage hinterher (6.05.13)

      Bienen und Wildinsekten sind überlebenswichtig
      Industrielle Landwirtschaft ohne Zukunft (27.02.13)

      Dem deutschen Wald geht es schlechter
      als in den 1980er-Jahren (4.02.13)

      Pestizide vernichten Amphibien
      Umweltbundesamt fordert Beschränkungen (1.02.13)

      Demo in Berlin für Agrar-Wende
      25.000 erklären: "Wir haben es satt" (19.01.13)

      Umweltverbände: Aigners Pestizid-Aktionsplan
      ist "mangelhaft" (25.10.12)

      EU-Kommission versucht Gen-Honig
      durch die Hintertür einzuschmuggeln (24.10.12)

      Bio-Lebensmittel
      - nur ein Mythos? (4.09.12)

      Flächenfraß weiter lebensgefährlich
      BUND fordert Biotopverbund (17.07.12)

      Bio-Landwirtschaft
      Volkswirtschaftlich kostengünstiger (30.04.12)

      Artenvernichtung
      Osterhase gefährdet? (4.04.12)

      Greenpeace deckt auf
      Pestizide in Obst und Gemüse (26.03.12)

      Wald-AIDS greift um sich
      Zustand der Buchen auf historischem Tiefpunkt (2.02.12)

      Gartenrotschwanz bald ausgerottet
      Vogel des Jahres 2011 (9.10.11)

      Merkel degradiert Wald zum Rohstofflieferanten
      Wald-AIDS in den Medien nahezu vergessen (21.09.11)

      Giftige Grünalgen an der bretonischen Küste
      Sarkozy: "Industrielle Landwirtschaft unschuldig"
      (29.07.11)

      Neu im Supermarkt:
      Pestizid-Cocktail mit Johannisbeeren
      Nur Bioläden stehen abseits (27.07.11)

      Uran im Trinkwasser
      foodwatch kritisiert neuen Grenzwert (29.11.10)

      Appell gegen Massentierhaltung
      Für eine Agrar-Wende (23.11.10)

      Die Ostsee stirbt
      Mord per Ackerbau und Viehzucht (27.07.10)

      Erfolg der Bio-Landwirtschaft
      mit Artenvielfalt statt Pestiziden (5.07.10)

      Greenpeace: Salate nach wie vor
      stark mit Pestiziden belastet (3.02.10)

      Bio-Landwirtschaft
      Option für Klimaschutz
      und Sicherung der Welternährung (26.01.10)

      Gentechnik erhöht Pestizidverbrauch in den USA
      US-Landwirtschaft benötigte 145.000 Tonnen mehr
      (18.11.09)

      Bundesregierung unterliegt:
      Liste der Agrar-Subventionen endlich öffentlich (9.06.09)

      Die Ostsee stirbt
      Immer weniger Schweinswale (28.01.09)

      Wald-AIDS auch in den USA
      Sterberate in 20 Jahren verdoppelt (24.01.09)

      Steigende Pestizidbelastung
      bei konventionellem Obst und Gemüse
      Politik fördert weiterhin einseitig
      agro-industrielle Landwirtschaft (24.07.08)

      Greenpeace prangert Chemie-Konzerne an
      Umweltgefahren durch Pestizide (16.06.08)

      Umweltverbrechen Mais-Anbau
      Nitrat und Pestizide verseuchen das Grundwasser
      (18.05.08)

      Bayer-Chemikalie Clothianidin gestoppt
      Zusammenhang mit Bienensterben
      nun doch nachgewiesen (17.05.08)

      Bayer-Chemikalie Clothianidin in toten Bienen
      Angeblich "kein klarer Zusammenhang" (9.05.08)

      Bio-Mandarinen deutliche besser
      Pestizid-Cocktail auf "normalen" Mandarinen (25.11.07)

      Die Ostsee stirbt
      Gabriel desinteressiert (15.11.07)

      Die Ostsee stirbt
      Deutschland schaut zu (28.09.07)

      Schmetterlinge in Deutschland
      80 Prozent vom Aussterben bedroht (13.04.05)

      Eisbär leidet unter Pestiziden (13.09.04)

      Paprika mit Pestiziden
      Greenpeace enthüllt fortlaufendes Versagen von Künast
      (2.07.04)

      Agrar-Wende
      Nichts als heiße Luft (24.01.04)

      Bio-Landbau wächst (24.11.03)

      Obst- und Gemüse
      aus dem Bio-Laden (21.09.03)

      Bienensterben
      und noch ein Insektizid (14.08.03)

      Apollofalter
      the scream of the butterfly (19.05.03)