Bundestag - was bitte?
Bertelsmann-Studie beklagt
Desinteresse an "Demokratie"
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Gütersloh (LiZ). Die neoliberale Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie vorgelegt, laut der sich gerade einmal ein Viertel der Befragten an eine Bundestags-Debatte erinnern kann. Weshalb das Desinteresse der Deutschen am Parlamentarismus immer mehr zunimmt, vermied die Studie zu analysieren.
Im August dieses Jahres hatte sich laut ZDF-Politbarometer eine Mehrheit von 67 Prozent der Deutschen gegen Waffenlieferung an kurdische Peschmerga ausgesprochen - eine solche Mehrheit gilt im Parlamentarismus gar als "verfassungsändernde Mehrheit". Am 1. September jedoch segnete der Deutsche Bundestag eben diese Waffenlieferung, die von der Bundesregierung bereits beschlossen war, mit großer Mehrheit ab. 78 Prozent der Deutschen befürworten laut Meinungsforschungsinstitut Emnid ein grundsätzliches Verbot von Waffen-Exporten. Minister Gabriel hat mehrfach versprochen, die deutschen Waffen-Exporte deutlich zu drosseln. Insgesamt wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres Genehmigungen für Rüstungs-Exporte in "Drittländer" in Höhe von rund 1,49 Milliarden Euro erteilt. Im ersten Halbjahr 2013 hatte der Wert bei knapp 1,42 Milliarden Euro gelegen. Hinter dem Begriff "Drittländer" verbergen sich Diktaturen und menschenrechtsverletzende Regimes wie Saudi-Arabien und Algerien (Siehe unsere Artikel v. 15.10.14, 22.08.14, 18.03.14, 8.08.13 und 24.05.13)
Nach wie vor ist laut Umfragen eine deutliche Mehrheit der Deutschen für einen Atomausstieg. Im Sommer 2011 wurde dieser unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima - zum zweiten mal seit 2001 - von einer Bundesregierung versprochen. Doch von den 17 Atom-Reaktoren wurden lediglich 8 stillgelegt und 9 sind - de facto auf unbestimmte Zeit - weiter in Betrieb. Auch die Stromerzeugung aus Kohlekraft ist seitdem nahezu konstant geblieben. Und während laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid vom Oktober 92 Prozent der Deutschen den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien für "wichtig" bis "außerordentlich wichtig" erachten, sabotiert die Bundesregierung die Energie-Wende und bewirkte den tiefsten Rückschlag beim Ausbau der erneuerbaren Energien seit langem und die Vernichtung von rund 30.000 Arbeitsplätzen (Siehe unsere Artikel v. 31.07.14, 16.10.14, 25.10.14 und 2.12.14).
Dies sind nur zwei Beispiele dafür, daß die deutsche Bundesregierung - und mehrheitlich auch die im Bundestag vertretenen Parteien - auf nicht gerade nebensächlichen Politikfeldern Entscheidungen trifft, die dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung diametral entgegenstehen. Und wer sich noch an die Jahre zwischen 1998 und 2005 erinnert, weiß, daß dies unter "Rot-Grün" nicht anders war. Auch die Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joseph Fischer vertrat weitgehend die Interessen der großen Konzerne und brach die gegebenen Wahlversprechen.
Von alledem ist jedoch in der jetzt vorgelegten Bertelsmann-Studie nicht die Rede. Und statt einer Analyse, weshalb das Interesse der Deutschen am weitgehend von Konzern-Interessen gelenkten Parlamentarismus immer mehr nachläßt, schüttelt Professor Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung die "Erklärung" aus dem Ärmel, Bundestagsdebatten seien heute "einfach nicht spannend genug". Das ist seine Erklärung für das per Umfrage ermittelte Phänomen, daß beispielsweise nur 27 Prozent der Befragten in den vergangenen Monaten eine Bundestags-Debatte im Radio oder TV verfolgt. Das Interesse hat in den vergangenen Jahren stark abgenommen: Mitte der 1980er-Jahren hatten noch mehr als doppelt so viele Menschen (63 Prozent) angegeben, eine Bundestags-Debatte verfolgt zu haben. Besonders deutlich sei das Desinteresse in der Gruppe der 16- bis 29-Jährigen.
Dieses "Problem für die Demokratie" - nein, nicht welche Entscheidungen im Parlament getroffen oder abgenickt werden, sondern daß dies zu langweilig sei - will Professor Vehrkamp, Direktor des 'Programms Zukunft der Demokratie' der Bertelsmann-Stiftung, angehen. Als "konstruktiven" Vorschlag präsentiert er in der vorgelegten Studie die Forderung nach mehr Debatten - und diese sollen "bitte schön knackiger" inszeniert werden, dazu mit einer seit Jahren sattsam bekannten "Bürgerbeteiligung". Auch müsse der Bundestag "den Medien mehr interessante Angebote machen," sinniert der Wirtschaftswissenschaftler.
Ein Forist kommentierte in der online-Ausgabe der 'Zeit': "Ich meine, das ist sogar ein gutes Zeichen, wenn sich die Jugend von der Wahrheit überzeugen läßt, daß sie dort eh nicht repräsentiert wird. Das ist eine Art Pisa Studie im Sinne von: die Jugend hat noch Intelligenz!"
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
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