Seehofer gibt nach:
CASTOR ins bayerische "Zwischenlager"
München (LiZ). Solange weltweit kein "Endlager" für den hochradioaktiven Müll aus Atomkraftwerken vorhanden ist, muß jeglicher Transport von CASTOR-Behältern durch Europa als riskanter Irrsinn bezeichnet werden. Die bayerische Landesregierung sperrte sich bislang dagegen, Atommüll aufzunehmen. Dennoch war die Position des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer bislang wenig überzeugend.
Seehofer hatte sich auf den Standpunkt zurückgezogen, daß Bayern aufgrund der geologischen Gegebenheiten keinen potentiellen Standort für ein "Atommüll-Endlager" zu bieten habe. Dennoch war er zugleich mit den Pseudo-Grünen darin einig, daß der angeblich deutsche Atommüll aus den Plutoniumfabriken ("Wiederaufarbeitungsanlagen") im französischen LaHague und im britischen Sellafield zurückgenommen werden müsse. Zudem war die Position Seehofers wenig glaubwürdig, da die bayerischen Atomkraftwerke - wie Seehofer ansonsten immer gerne bekundet hatte - den im Vergleich der Bundesländer größten Teil des deutschen Atomstroms geliefert hatten. Aus ihnen stammt daher ein entsprechend großer Anteil des Atommülls.
Es geht seit dem vorerst letzten CASTOR-Transport nach Gorleben im November 2011 um weitere 26 CASTOR-Behälter aus La Hague und Sellafield. Der pseudo-grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte vor drei Jahren mit seiner Äußerung, "Irgendwo muß das Zeug ja schließlich hin!" und seinem Angebot, CASTOR-Transporte nach Baden-Württemberg in ein "Zwischenlager" zuzulassen, bei großen Teilen der Öffentlichkeit gepunktet. Denn diese Position erschien entgegen jener Seehofers als integer und verantwortungsbewußt.
Tatsächlich jedoch besteht keine Verpflichtung Deutschlands, radioaktiven Müll aus den Plutonium-Fabriken im französischen La Hague und im britischen Sellafield zurückzunehmen. Es darf daran erinnert werden, daß es sich keineswegs um "deutschen Atommüll" handelt, der "Frankreich und England" wieder abgenommen werden müsse: Die britische und die französische Regierung wollten im Interesse der atomaren Bewaffnung den Müll der deutschen Atom-Konzerne, um daraus das für die Atombombe benötigte Plutonium zu gewinnen. Und es darf auch daran erinnert werden, daß die japanische Regierung im Jahr 2001 ihre Verträge mit der britischen Plutonium-Fabrik Sellafield zeitweise ausgesetzte, ohne Probleme zu bekommen. Damals ging es um die Fälschung von Fracht-Dokumenten durch die britische Atom-Mafia, die zufällig aufgeflogen waren.
Auch im Jahr 2014 wurde in Deutschland täglich rund 700 Kilogramm hochradioaktiver Müll produziert - also insgesamt rund 260 Tonnen (bei rund 97 TWh Stromproduktion). Und dies, obwohl bis heute niemand weiß, wohin damit. Bis zu dem im Jahr 2000 von "Rot-Grün" erstmals verkündeten "Atom-Ausstieg" wurden in Deutschland in Atomkraftwerken insgesamt 2.670,3 TWh Strom erzeugt - und damit rund 7.200 Tonnen hochradioaktiver Müll. (Es ist auch undementiert die Angabe zu finden: In deutschen Atomkraftwerken wurden allein bis zum Jahr 2007 insgesamt 12.500 Tonnen hochradioaktiver Müll produziert.) Dieser sogenannte Atom-Ausstieg des Jahres 2000 garantierte den Strom-Konzernen die weitere Produktion von 2.623,3 TWh - und damit eine Verdoppelung des Atommüll-Berges. Dabei ist der hochradioaktive Müll nur die Spitze des Atommüll-Berges: Mit jeder Tonne hochradioaktiven Atommülls fallen weitere rund 10 Tonnen an schwach- und mittelradioaktivem Müll an. Der radioaktive Müll, der beim Abriß von Atomkraftwerken anfällt, ist hierbei noch gar nicht eingerechnet. Und in einer Plutoniumfabrik wird aus jedem Kubikmeter angeliefertem Atommüll, also abgebrannten Brennelementen - infolge der aufwendigen Verfahren, bei denen etwa Säuren eingesetzt werden, um Plutonium herauszulösen - am Ende 16 Kubikmeter Atommüll.
Seehofer hat nun - wie angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Berlin leicht vorherzusehen war - seinen Widerstand gegen die Aufnahme von Atommüll in ein "Zwischenlager" im AKW Isar - rund 80 Kilometer nordöstlich von München - aufgegeben. Nach der jetzt von Atom-Ministerin Barbara Hendricks vorgelegten Planung sollen fünf CASTOR-Behälter aus der französischen Plutoniumfabrik LaHague ins "Zwischenlager" im baden-württembergischen AKW Philippsburg bei Karlsruhe transportiert werden. Jeweils sieben CASTOR-Behälter aus Sellafield sollen in "Zwischenlagern" in Hessen, Schleswig-Holstein und Bayern unterkommen.
In Hinblick auf Schleswig-Holstein bestehen allerdings begründete Zweifel, ob der Plan der Atom-Ministerin Bestand haben wird. Das seit März 2007 in Betrieb befindliche "Zwischenlager" im schleswig-holsteinischen AKW Brokdorf ist nur für 40 Jahre genehmigt und verfügt lediglich über 100 Stellplätze für CASTOR-Behälter, die den Weiterbetrieb des Atomkraftwerks gewährleisten sollen. Und im Januar 2015 hatte das Bundesverwaltungsgericht Leipzig das "Zwischenlager" im stillgelegten schleswig-holsteinischen Atomkraftwerk Brunsbüttel für illegal erklärt (Siehe unseren Artikel v. 16.01.15). Aus der Urteilsbegründung folgt zudem, daß sämtliche 16 "Zwischenlager" in Deutschland illegal sind. Allein 12 dieser "Zwischenlager" wurden in der Ära von "Rot-Grün" zwischen 1998 und 2005 im Zuge des "Atom-Ausstiegs" genehmigt. Alleiniger Zweck dieser Genehmigungen war, auf diese Weise den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke rechtlich abzusichern.
Laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) wird für die heutigen CASTOR-Behälter eine Mindesthaltbarkeit von nur 40 Jahren garantiert. Diese Angabe ist angesichts von CASTOR-Behältern, die sich wegen Gasbildung aufblähten und wegen aufgeplatzten Deckel-Dichtungen wenig glaubwürdig. Und bekanntlich ist eine Reparatur von CASTOR-Behältern oder gar ein Umfüllen des hochradioaktiven Inventars in neue CASTOR-Behälter in den meisten "Zwischenlagern" nicht möglich. Nur wenige "Zwischenlager" verfügen über eine sogenannte Heiße Zelle.
Bislang wurden mit dreizehn CASTOR-Transporten ab 1995 - darunter allein sechs in den Regierungsjahren von "Rot-Grün" und (vorläufig) zuletzt im November 2011 - insgesamt 113 CASTOR-Behälter in die oberirdische Leichtbauhalle bei Gorleben gebracht. Mit diesen CASTOR-Transporten sollte die Vorfestlegung auf den Salzstock Gorleben als deutsches "Atommüll-Endlager" zementiert werden.
1 - April 1995: 1 CASTOR
2 - Mai 1996: + 1 = 2
3 - März 1997: + 1 = 3
1998 Kontaminations-Skandal
4 - März 2001: + 6 = 9
5 - November 2001: + 11 = 20
6 - November 2002: + 12 = 32
7 - November 2003: + 12 = 44
8 - November 2004: + 12 = 56
9 - November 2005: + 12 = 68
10 - November 2006: + 12 = 80
11 - November 2008: + 11 = 91
12 - November 2010: + 11 = 102
13 - November 2011: + 11 = 113
Da sowohl Kretschmann als auch Seehofer als Ministerpräsidenten den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken rechtlich absichern, wäre es durchaus plausibel, die beiden Herren in Zukunft persönlich für die Lagerung des hochradioaktiven Atommülls haftbar zu machen. Doch ein Transport von Atommüll kann nicht als sinnvoll akzeptiert werden, bevor weltweit alle Atomanlagen stillgelegt sind. Denn frühestens zu diesem Zeitpunkt kann damit begonnen werden, weltweit nach dem am wenigsten ungeeigneten Ort für die Hinterlassenschaft des "Atomzeitalters" zu suchen. Profit-Interessen werden immer in Richtung auf eine möglichst billige Schein-Lösung wirken, die lediglich dazu dient, den Betrieb von Atomkraftwerken solange wie möglich aufrecht zu erhalten. Es wird in Zukunft eine Aufgabe von globaler Dimension sein, den gefährlichsten Müll, der in der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte geschaffen wurde, für mehr als hunderttausend zukünftige Generationen so gut es geht vor der Biosphäre abzuschließen.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Finnisches "Endlager"-Projekt Onkalo
von Regierung genehmigt (13.11.15)
Explosionen in Atommüll-Deponie
im US-Staat Nevada (26.10.15)
Wendland steht zusammen
Kotting-Uhl erlebt Fiasko als "Botschafterin" (1.10.15)
Atommüll-Konferenz contra
"simulierte Bürgerbeteiligung" (21.06.15)
Menschenkette im lothringischen Bure
Protest gegen Atommüll-Endlager-Projekt (8.06.15)
Auch RWE will sich aufspalten
Steuergelder fürs Atommüll-Desaster (7.05.15)
Atommüll-Desaster
Gericht erklärt Lager in Brunsbüttel
für illegal (16.01.15)
Doppelt so viel Atommüll wie veranschlagt
Deutschland sitzt auf einer Zeitbombe (19.11.14)
Kein Feigenblatt
für Atommüll-Endlager-Kommission
Verbände lehnen Anhörung ab (29.10.14)
Atommüll-Endlager-Kommission steht
Schlag gegen die Anti-AKW-Bewegung (19.05.14)
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in der Nachfolge von Franz Josef Strauß (4.03.14)
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Zielbestimmung für Atommüll bis Ostern (15.02.14)
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Eine Antwort auf Kotting-Uhls "Einladung" (4.02.14)
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an Endlager-Kommission nicht teil (19.08.13)
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Urananreicherungsanlage in Guangdong (14.07.13)
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auf Endlager-Such-Gesetz
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knapp abgewendet (16.05.13)
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Wahlversprechen zu Gorleben (25.03.13)
Juristischer Kampf
um CASTOR-Prostest 2010
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"Rot-Grün" in Niedersachsen
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Atommüll-Zug in Südfrankreich entgleist
Bestimmungsort ist möglicherweise Deutschland (22.01.13)
"Schwarz-Gelb" schafft Grundlage für Atommüll-Export
AtomkraftgegnerInnen kritisieren Dammbruch (4.01.13)
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gegen Plutonium-Transport (24.09.12)
Gorleben: Atomarer Irrweg wird fortgesetzt
Weitere CASTOR-Transporte angekündigt (7.06.12)
Zu wenig CASTOR-Behälter?
Dumme Ausreden gegen Energie-Wende (14.02.12)
CASTOR am Sonntag
Blockaden dehnen die Transport-Dauer
auf über 107 Stunden (27.11.11)
CASTOR am Samstag
23.000 bei Demo in Dannenberg
Über 3000 bei Schienenblockade in Harlingen (26.11.11)
CASTOR am Freitag
Südblockade
und Polizeiübergriffe im Wendland (25.11.11)
CASTOR am Donnerstag
Der Zug steht - Kretschmann redet (24.11.11)
CASTOR in Frankreich gestartet
Abfahrt durch Blockaden erheblich verzögert (23.11.11)
Schulen geschlossen und Straßen gesperrt
Französische Behörden
und der CASTOR-Protest (22.11.11)
Genehmigung für CASTOR-Transport
trotz Strahlen-Skandal (31.10.11)
Südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen
fordern Absage
des CASTOR-Transports nach Gorleben (17.10.11)
CASTOR 2011
Auftakt-Kundgebung in Dannenberg (29.07.11)
Atommüll-Endlager in Deutschland?
EU macht Druck (20.07.11)
13. CASTOR nach Gorleben
angekündigt (3.06.11)
Protest gegen CASTOR-Transport
Karlsruhe - Lubmin (10.02.11)
CASTOR-Transport Mitte Februar
"Atomsuppe" soll nach Lubmin (6.01.11)
Atommüll-Frachter in Seenot
nach Rußland-Fahrt (20.12.10)
Greifswald-CASTOR rollt
(14.12.10)
Termin-Änderung: CASTOR nach Lubmin
auf Mitte Dezember vorgezogen (17.11.10)
Strahlende Weihnachten:
CASTOR soll nach Lubmin rollen (12.11.10)
50.000 in Dannenberg
Auftakt zum CASTOR-Protest im Wendland (7.11.10)
Aufruf von KünstlerInnen
zum CASTOR-Protest ab 6. November
Günter Grass, Petra Oelker, Bela B. und Charlotte Roche:
"Kommt ins Wendland!" (29.10.10)
Gorleben-CASTOR vermutlich ab 5. November
Auftakt-Demo terminiert (16.09.10)
Weiterer Erfolg des Gorleben-Widerstands:
Verwaltungsgericht Lüneburg stoppt Datensammlung
(4.09.10)
CASTOR-GegnerInnen siegen
vor Bundesverfassungsgericht (26.08.10)
CASTOR im November
Erste Vorbereitungen (20.07.10)
Unsinniger CASTOR-Transport
von Hamburg nach Südfrankreich (15.06.10)
CASTOR nach Gorleben genehmigt
Widerstand angekündigt (3.05.10)
Protest gegen Atommüll-Transport nach Rußland
Greenpeace-Aktion in der Nordsee (10.04.10)
Atomenergie ist sicher?
Autobahnpolizei stoppt Horror-Transport (11.03.10)
Atommüll-Transporte
Glaskokillen nicht stabil (5.02.10)
Unfall in der UAA Gronau
Arbeiter radioaktiv verstrahlt (23.01.10)
CASTOR-Transporte ins Zwischenlager Ahaus
Der Weg zum illegalen Endlager (14.11.09)
Uran-Transport von "Eichhörnchen" gestoppt
Bedeutung der Urananreicherungs-Anlage Gronau
ins Blickfeld gerückt (29.04.09)
Nach dem Wahljahr 2009:
Im Jahr 2010 drei CASTOR-Transporte
durch Deutschland? (15.04.09)
Nachtrag zum Gorleben-CASTOR:
Amt mußte Strahlenmeßgeräte leihen (17.02.09)
Nachtrag zum Gorleben-CASTOR
Strahlenrisiko beim Atommülltransport fahrlässig erhöht
(27.11.08)
2009 kein CASTOR nach Gorleben?
Neue CASTOR-Behälter für radioaktiven Müll
ohne Genehmigung (29.04.08)
21.000 Tonnen Yellow Cake nach Sibirien
ZDF: 3 Tote bei Atom-Unfällen (12.06.07)
Das ungelöste Problem der Endlagerung
Folge 12 der Info-Serie Atomenergie