Johann G. Zaller, international renommierter Ökologe an der Wiener Universität für Bodenkultur, erforscht seit Jahren Pestizide und ihre Nebenwirkungen für Mensch und Umwelt. Sein neues Buch 'Unser täglich Gift' klärt auf und zeigt, daß die Skandale um Fibronil und Glyphosat nur die Spitze des Eisbergs sind.
Laut den offiziellen Daten der deutschen Lebensmittel-Überwachung weisen 18 Prozent der untersuchten Lebensmittelproben Rückstände von 29 hormonschädlichen Pestiziden auf. Rückstände von weiteren 96 Wirkstoffen, die zumindest unter Verdacht stehen, schädlich auf das Hormonsystem von Mensch und Tier einzuwirken, wurden in rund 24 Prozent der untersuchten Proben nachgewiesen.
Der Einsatz des Pestizids Glyphosat in der industriellen Landwirtschaft wurde in zehn Jahren mehr als verdoppelt:
Obwohl Pestizide heute nahezu omnipräsent sind, wissen die VerbraucherInnen erschreckend wenig. Ein Apfel, den VerbraucherInnen im Supermarkt einkaufen, wurde zuvor durchschnittlich 31-mal pro Anbausaison mit Pestiziden besprüht. Und wem ist bekannt, daß wir auch im Flugzeug mit Pestiziden in Kontakt kommen können? Johann G. Zaller weist in seinem neuen Buch zudem darauf hin, daß ein Viertel der am Markt befindlichen Pestizide Produktfälschungen mit ungewissen Inhaltsstoffen sind. Und dabei werden sie in der Regel nicht einmal gegen bestehende Schädlinge und Krankheiten eingesetzt, sondern vor allem vorbeugend.
Rund 40 Chemikalien, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft wurden - darunter auch Glyphosat - sind nach wie vor erlaubt. Ungeachtet dessen wurden die geltenden gesetzlichen Grenzwerte für PestizidBelastungen in den vergangenen Jahren ständig nach oben korrigiert. Dabei werden Pestizide nicht allein von der industriellen Landwirtschaft eingesetzt - der zweitgrößte Verbraucher von Herbiziden in Deutschland ist die Deutsche Bahn. Und von HobbygärtnerInnen werden Pestizide oft noch bedenkenloser verwendet als in der Landwirtschaft.
Pestizide lassen sich mittelweile nahezu überall auf diesem Planeten nachweisen: Auf den Polkappen, in den Tiefen der Weltmeere, in verlassenen Bergseen, Flüssen, Gletschern, Pflanzen, Tieren, Menschen. Man fand Schadstoffe, die seit mehr als drei Jahrzehnten verboten sind, in Flohkrebsen, die 10.000 Meter unterm Meeresspiegel leben. Man fand das Insektizid DDT im Fettgewebe von Pinguinen in der Antarktis. Man fand 56 Pestizide in handelsüblichen Rosensträußen. Jedes dritte davon gilt als besonders bedenklich, da es Krebs erregen kann. In der Nabelschnur von Neugeborenen entdeckten US-ForscherInnen mehr als 230 Chemikalien - darunter viele Pestizide.
Johann G. Zaller schreibt in seinem Buch, 'Unser täglich Gift', es sei so gut wie sicher, "daß wir alle, ob in der Landwirtschaft tätig oder nicht, Pestizid-Rückstände in unserem Körper haben". Wir haben das Gift gegessen, eingeatmet, es uns als Kosmetika auf die Haut geschmiert oder über unsere Kleidung aufgenommen. Wind und Wasser trugen es von den Feldern und Gärten über den ganzen Erdball.
Die Folgen sind verheerend. Fast ein Viertel der in der EU gefährdeten Arten sind durch Schadstoffe bedroht, die aus der industriellen Landwirtschaft stammen. In den vergangenen 35 Jahren schrumpfte die heimische Artenvielfalt an Insekten und Spinnen nahezu um die Hälfte. Vögel sterben am Gift, Fledermäuse verhungern, Nagetiere verenden, Hummeln und Bienen verlieren die Orientierung.
Johann G. Zaller lehrt am Institut für Zoologie der Universität für Bodenkultur in Wien mit den Schwerpunkten Ökologie der Pflanzen, Ökologie der Tiere, Ökosystemforschung, Biologischer Landbau, Agrarökologie, Umweltschutz. Er erforscht seit vielen Jahren Chemikalien und deren Auswirkungen auf unsere Gesundheit und auf die Umwelt. "Erstmals in der Weltgeschichte hat eine einzige Spezies, nämlich wir Menschen, es geschafft, den gesamten Planeten zu vergiften," schreibt Zaller und erklärt, woran das System krankt. Etwa an den Zulassungen von gefährlichen Pestiziden, die kaum unter realen Bedingungen und nur sehr eingeschränkt getestet wurden - und an der Verfilzung zwischen der Industrie und den Behörden, die die Pestizide zulassen und kaum kontrollieren.
Hinzu kommt, daß Lobby-Gruppen der Hersteller kritische WissenschaftlerInnen öffentlich diskreditieren – Zaller spricht dabei aus eigener Erfahrung. Deren Argument, daß Pestizide nötig seien, um die Weltbevölkerung ernähren zu können, widerlegt der Ökologe.
Der Autor stützt sich auf eine Reihe eigener Untersuchungen, die zuvor in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Dennoch ist das Buch gut lesbar und nicht etwa in universitärem Fachjargon geschrieben. Fachwörter werden oft mehrmals erklärt, sodaß auch für Laien immer problemlos zu erfassen ist, worum es im Text geht. Zallers Buch ist zudem durch rund 200 Quellenangaben sehr gut fundiert. Neben der Beschreibung und Analyse des Status Quo beschreibt Zaller durchaus ermutigende Auswege aus der Misere.
Johann G. Zaller
"Unser täglich Gift.
Pestizide - die unterschätzte Gefahr"
Deuticke Verlag
240 Seiten
ISBN: 9783552063679
20 Euro
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
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foodwatch kritisiert neuen Grenzwert (29.11.10)
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Wald-AIDS auch in den USA
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